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Geert Wilders muss sich wegen Volksverhetzung verantworten.

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Eine junge Muslimin protestiert gegen Islam-Hetze in den Niederlanden. Die Rechtspopulisten sehen das als ihr Recht: Schließlich herrsche Meinungsfreiheit.

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"Es geht hier um einen politischen Prozess", wetterte der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders, als er am Montag - nach einer Unterbrechung von acht Monaten - wieder vor dem Amsterdamer Bezirksgericht erscheinen musste. "Die Meinungsfreiheit steht auf dem Spiel, daran darf nicht gerüttelt werden!", schimpfte er weiter und erinnerte an die vielen Wähler, die seine "Partei für die Freiheit" (PVV) im Juni zur drittstärksten Kraft im niederländischen Abgeordnetenhaus gemacht hatten: "Mit mir stehen 1,5 Millionen Niederländer vor Gericht!"

Wilders muss sich wegen zwei Delikten verantworten. Erstens: Aufstachelung zu Hass und Diskriminierung. Zweitens: Beleidigung einer Bevölkerungsgruppe wegen ihrer Religion. Der Zeitung Volkskrant hatte Wilders etwa gesagt, dass das kriminelle Verhalten marokkanischer Jugendlicher auf ihre Kultur und Religion zurückgehe. Wilders vergleicht auch den Koran mit Hitlers Mein Kampf: "Ich werde das weiterhin sagen, denn in beiden Fällen geht es um Bücher totalitärer Ideologien!" Gerard Spong, einer der bekanntestes Anwälte der Niederlande, glaubt, dass Wilder "mit diesem Vergleich eindeutig zu weit ging". Spong denkt, dass "die Meinungsfreiheit Grenzen hat. Mit der Anklage wird deutlich gesagt: bis hierher und nicht weiter."

Nicht alle Kollegen sind seiner Meinung. Der Prozess gegen Wilders teilt nicht nur die Wähler, sondern auch die Rechtsexperten: "Es geht hier um eine politische Debatte, für die man nicht das Strafrecht bemühen darf", findet der Utrechter Strafrechtsexperte Theo de Roos. Der 62-jährige Professor bezeichnet Wilders Aussagen als "widerlich". Dennoch sagt er: "Die Meinungsfreiheit ist ein zu verletzbares Gut, um gleich das Strafrecht auf sie anzusetzen. Das sollte reserviert bleiben für Fälle, durch die akute Gefahr entsteht."

Freiheit und Schutz

Die Kontroverse um die Wahrung der Meinungsfreiheit und den gleichzeitigen Schutz von ethnischen und religiösen Gruppen ist in ganz Europa in der aktuellen Gesetzgebung abzulesen. In Österreich ist etwa der islamophoben Wahlkampf der FPÖ Anlass für Anzeigen. Doch Europa ist sich nicht einig, wie weitreichend man per Gesetz gegen Rassismus vorgehen soll.

In einigen Staaten wie Großbritannien gibt es gar keine Verhetzungsparagrafen, weil die Sorge vor einem politischen Missbrauch überwiegt. In anderen Ländern wie Deutschland gibt es Gleichbehandlungsgesetze, aber auch Hetze ist strafbar. In Deutschland und Österreich sind zusätzlich die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust verboten. Spezifische Gesetze gegen die zunehmende Islamophobie und den Antiziganismus gibt es aber nicht. In Ungarn, wo die Hetze gegen Roma besonders schlimm ist, wird das Gesetz sogar ziemlich lax angewandt.

Die Europäische Union hat vor zwei Jahren einen Rahmenbeschluss erlassen, wonach alle EU-Staaten bis zum 28. November 2010 "die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass" gegen bestimmte Gruppen (ethnisch, religiös usw.) mittels Strafrecht verbieten müssen. Das Höchstmaß des Strafrahmens muss zwischen einem und drei Jahren liegen. Laut EU-Kommission haben aber bisher nur drei Staaten - die Niederlande, Dänemark und Lettland - diese EU-Vorgaben umgesetzt.

Ob Wilders verurteilt wird, ist trotzdem fraglich. In den Niederlanden kann man "Stoppt das Krebsgeschwür Islam!" auf ein Plakat schreiben und wird nicht dafür bestraft. Andererseits wurde der französische Politiker Jean-Marie Le Pen zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro wegen Verhetzung verurteilt. Der Strassburger Menschenrechtsgerichtshof meinte damals: "Die Aufstachelung zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine ethnisch oder religiös bestimmte Gruppe ist nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt."

Eine junge Muslimin protestiert gegen Islam-Hetze in den Niederlanden. Die Rechtspopulisten sehen das als ihr Recht: Schließlich herrsche Meinungsfreiheit. (Kerstin Schweighöfer, Adelheid Wölf, DERSTANDARD-Printausgabe, 05.10.2010)