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Soldaten führen Polizisten von Baja California ab, die für Drogenbanden gearbeitet haben sollen. 60 Prozent der Gemeinden in Mexiko sind nach Angaben des Senats von Kartellen infiltriert.

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Sie reisten an, um sich am Strand zu entspannen - und gerieten wohl mitten in den Drogenkrieg. 20 Urlauber, die aus der Stadt Morelia im Teilstaat Michoacán nach Acapulco gefahren waren, sind nach Angaben mexikanischer Behörden vergangene Woche verschleppt worden. Michoacán gilt als Hochburg des mächtigen Drogenkartells La Familia, dessen Einfluss sich inzwischen bis Guerrero ausdehnt. Eine Verbindung des Vorfalls zum Drogenkrieg liegt daher nahe.

Allein seit Freitag starben mindestens 34 Menschen in dem Konflikt zwischen Kartellen und der mexikanischen Armee. 14 Männer wurden, wie mexikanische Behörden mitteilten, bei einer Schießerei in einem abgelegenen Bergdorf im Bundesstaat Durango getötet. In dem Teilstaat kämpft das mächtige Sinaloa-Kartell mit dem Juárez-Kartell um die Schmuggelrouten für Drogen in die USA. Das Juárez-Kartell wiederum hat seine Hochburg im Nachbarstaat Chihuahua, wo sich nach Behördenangaben seit Freitag mindestens 20 Morde ereigneten, die Drogenbanden angelastet werden.

Dies sind nur die jüngsten der vielen tragischen Kapitel eines Konflikts, zwischen dessen Fronten seit 2006 rund 28.000 Menschen ums Leben gekommen sind. 90 Prozent der Opfer sind laut der konservativen Regierung Angehörige oder Handlanger der Kartelle. Bleiben 2800 Unschuldige.

Unbeteiligte im Kugelhagel

So wie die 72 Migranten aus Mittel- und Südamerika, die im August vom Killerkommando eines Kartells erpresst und ermordet wurden. Vor einigen Monaten starben zwei Studenten der Universität von Monterrey, die auf dem Campus von verirrten Kugeln eines Antidrogeneinsatzes getroffen wurden. Oder zwei Kinder einer 13-köpfigen Familie in Tamaulipas, die zu Ostern bei einem Ausflug zum Strand von Soldaten erschossen wurden.

Das Verteidigungsministerium argumentierte, die Familie sei in eine Kampfhandlung geraten. Die Eltern der Opfer erklärten, es sei ohne Anlass auf sie geschossen worden. Die Nationale Menschenrechtskommission bestätigte inzwischen die Version der Familie.

Solche Vorfälle machen Schlagzeilen. Von "Blutrausch" und "Gewaltorgie" berichten Medien im In- und Ausland. Das Image Mexikos ist am Boden, der Tourismus eingebrochen. Doch die Regierung feiert Rekorde bei der Verbrechensbekämpfung. 227 Labors seien ausgehoben, 389 Millionen Dollar sichergestellt, 409 Flugzeuge beschlagnahmt, 23.000 Autos konfisziert, 90 Tonnen Kokain vernichtet und 90.000 Mitglieder der Mafia festgenommen worden, darunter ranghohe Bosse.

Ist all das diesen Preis wert? "Ja", sagt Joaquín Villalobos, einer der Sicherheitsberater Calderóns. Der Staat müsse die Kartelle in die Enge treiben. Dass dies zu mehr Gewalt führe, sei zwar bedauerlich, aber unvermeidlich. Erhärtet wird sein Argument durch Ermittlungen des Senats, wonach 60 Prozent der Gemeinden von den Kartellen infiltriert sind.

Ein gescheiterter Staat ist Mexiko nach Ansicht des Außenministers Jorge Castañeda deshalb aber nicht. Das Land sei mit zehn Morden je 100.000 Einwohner weitaus sicherer als etwa Kolumbien (37) oder Venezuela (48). Der Krieg mache aber keinen Sinn. Er habe weder den Drogenschmuggel verringert noch Kartelle merklich geschwächt oder Gewalt eingedämmt.

Nach Auffassung Castañedas war er eine rein politische Entscheidung nach Calderóns Wahlsieg 2006, der von Betrugsvorwürfen überschattet wurde. Die Hälfte der Mexikaner unterstützt den Krieg laut einer Studie von Harris Active-Indemerc zwar noch, drei Viertel glauben aber, dass die Kartelle ihn gewinnen. Die Lage in Mexiko hat sich für 64 Prozent verschlechtert - trotz wirtschaftlicher Erholung in diesem Jahr.

Mit jedem getöteten Zivilisten werden die kritischen Stimmen lauter - und auch der Ruf nach einer Legalisierung von Drogen. Etwas, das Calderón vehement ablehnt. Villalobos sieht darin auch keine Lösung, solange die USA und Europa als größte Konsumenten die Verantwortung auf die Produzentenländer schöben. UN-Studien zufolge bringt der Drogenhandel jährlich Gewinne von 320 Milliarden Dollar, 70 Prozent davon werden in den Industrieländern gewaschen.

Fünf Prozent Aufklärungsrate

Zwischen beiden Extremen gibt es Mittelwege. Adolfo Karam beschreitet einen solchen: Der Sicherheitsminister des Teilstaats Puebla setzt auf bessere Ausbildung und Ausrüstung der Polizei. Mit Erfolg: Die Mordrate (4,6 pro 100.000 Einwohner) liegt bei jener deutscher Großstädte. 50 Prozent der Fälle werden zudem aufgeklärt - bundesweit sind es in Mexiko fünf Prozent.

Calderón beharrt auf dem Einsatz der Armee bis Ende seiner Amtszeit 2012. Was danach kommt, ist offen. Eine komplett neue Strategie könnte folgen - allein deshalb, weil die Kartelle inzwischen auch in Mittelamerika neue Operationsbasen aufbauen. (Sandra Weiss/DER STANDARD, Printausgabe, 4. Oktober 2010)