Dean & Britta: "13 Most Beautiful Songs for Andy Warhol's Screen Tests"

Hier schließt sich wirklich ein Kreis: Als sich Dean Wareham mit seiner ersten Band Galaxie 500 Ende der 80er soundmäßig auf die Spuren von Velvet Underground begab, war er von diesen zeitlich genausoweit entfernt wie vom Heute ... wo er mit seinem aktuellen Projekt das Factory-Umfeld über einen ganz anderen Weg wiederbetritt. Im Auftrag des Andy Warhol Museums schrieb Wareham gemeinsam mit seiner Frau und Bandpartnerin Britta Phillips Musikstücke für die gefürchteten Screen-Tests, die Warhol einst mit echten und sogenannten "Superstars" gedreht hatte.

Der Ursprung der Stücke ist gemischt. Phillips" singt "I'll Keep It With Mine" wie weiland Nico, der Löwenanteil entstammt aber der Feder von Wareham und Phillips selbst: Sei es aus der Zeit ihrer ersten gemeinsamen Band Luna ("Eyes In My Smoke"), aus der Dean&Britta-Phase ("Knives From Bavaria") oder brandneu und gemeinsam mit Freunden geschrieben. Schlichte Instrumentalstücke wie das "Ann Buchanan Theme" oder das "Silver Factory Theme" wachsen sich zu sphärischen, den Pulsschlag absenkenden Trips aus, die Stücke mit Gesang setzen dann nochmals einen drauf: Etwa "It Don't Rain in Beverly Hills" oder "Teenage Lighning" mit einem wunderschönen Remix von Sonic Boom. "13 Most Beautiful Songs" ist mit Sicherheit eine der ruhigsten Platten des Jahres geworden - und zugleich eine der atemberaubendsten. (Double Feature/Cargo)

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Dean & Britta

Coverfoto: Double Feature

Dirk Darmstaedter & Bernd Begemann: "So geht das jede Nacht"

Ironischer Rücksturz ins Jahr 1960: Damals, als der angesagteste Drogenumschlagplatz noch die Espresso-Bar war, wo die schwarze Vera Alkoholfreies ausschenkt ("Espresso Rock"), waren auch die Geschlechterrollen noch eindeutiger definiert. Da darf er sich ruhig zum Womanizer stilisieren (ich kenn keine, die ich heut nicht haben kann; "Ich bin kein schöner Mann") und die gefühlige "Little Linda" verhöhnen ... aber wehe sie agiert gleichermaßen selbstbestimmt, die Schlampe, und wechselt die Kerle wie die Unterhöschen. Da folgt postwended die erbitterte Anklage im Titelstück: So geht das jede Nacht, das hätt ich nie nie nie von dir gedacht.

Mit großem Vergnügen stürzt sich Bernd Begemann, der Elvis Dylan aus Bad Salzuflen, in eine Retro-Welt aus Schulhof-Tratsch ("Susi sagt es Gaby") und Brautschau ("Warenhaus Rock"). Dirk Darmstaedter, der nicht gerade als Rabauke verschrieen ist und auf dem Album vor allem bei schmachtenden Balladen zum Sangeseinsatz kommt, reißt er dabei einfach mit. Beim Bundesvision Song Contest sind die beiden glorreich gescheitert, ihre Wiedererweckung alter deutscher Songs aus der Ära von Rockabilly und frühem Beat ist der Vielzahl ähnlicher Projekte aber um eine Nasenlänge voraus. (Tapete Records/Hoanzl)

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Tapete: Darmstaedter und Begemann

Coverfoto: Tapete Records

Emiliana Torrini: "Rarities"

Ja logisch will hier jemand am Erfolg mitnaschen - aber andererseits: Wer hätte mehr Anrecht darauf als One Little Indian? Seit Jahrzehnten hat das Londoner Label eine eigene Herzkammer für isländische Acts reserviert und sie fleißig gefördert ... und dann landet einer ihrer Schützlinge just nach dem Labelwechsel einen Welterfolg. Ärgerlich, sowas. Also schmeißt One Little Indian nun "Rarities" auf den Markt, das zum einen Stücke aus einem vor zehn Jahren zusammengestellten Promo-Album selben Titels und zum anderen das Beste aus dem 1999er Album "Love in the Time of Science" enthält.

Wo liegt also der Mehrwert, mögen sich nun manche fragen. Als offizieller Aufhänger sind wohl die zahllosen Remixes gedacht, die mehrheitlich auf tanztauglich und percussionlastig getrimmt wurden ("Jungle Drums" ... Nachtigall, ick hör dir trappsen). Sinn macht es aber vor allem, denjenigen, die vor zwei Jahren zum ersten Mal über Emiliana Torrini gestolpert sind, zu demonstrieren, welch gute Songs die Isländerin schrieb, als sie noch unter "Indietronica" lief. Speziell die Stücke aus dem fantastischen Album "Love in the Time of Science" ("Dead Things", "Easy", "Baby Blue", "Unemployed In Summertime", "To Be Free") sind es allesamt wert, noch einmal entdeckt zu werden. (One Little Indian/Hoanzl)

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Emiliana Torrini

Coverfoto: One Little Indian

Northern Portrait: "Criminal Art Lovers"

Du mochtest die Smiths? Du bekommst  Northern Portrait aus Dänemark. Immer wieder mal erreichten Bands (Gene, The Organ) einen gewissen Grad an Sound-Ähnlichkeit - aber noch niemals klang eine derart ident. Es ist un-pack-bar! Und nach vielmaligem Anhören des ersten Northern Portrait-Albums meine ich das auch nicht mehr als Plagiatsvorwurf, sondern positiv. Eine Ersatzhandlung möglicherweise, weil von der besten Band der 80er Jahre ja leider nichts Neues mehr kommen kann. Aber andererseits ... wenn die Täuschung funktioniert, warum nicht.

Man höre sich bloß die eröffnenden Gitarrenakkorde von "When Goodness Falls" oder "What Happens Next?" an: Rune Reholt und Jesper Bonde müssen Johnny Marrs (seit einiger Zeit bekanntlich Lehrbeauftragter für Populärmusik) eifrigste Schüler gewesen sein. Und Sänger Stefan Larsen ähnelt Morrissey nicht nur generell in der Stimmlage, er pflegt auch dessen vokale Manierismen: Sei es, dass er dem Refrain in Kopfstimme wortlos hinterhercroont wie in "The Münchhausen In Me", sei es die Schippe Pathos, die er in "The Operation Worked But The Patient Died" draufpackt.

Und was die Songtitel schon andeuten, führen die Texte weiter: Das muntere Gitarrengeklimper mit Hooklines tendenziell negativen Inhalts - I have come to disappoint you - auszubalancieren, das kommt uns doch auch irgendwie bekannt vor. Die tiefe Galligkeit Morrisseys erreichen sie zwar nicht, aber Northern Portrait heißen ja auch nicht Björn Again und weisen absichtliche Klonierung von sich. Was sie ein wenig in Erklärungsnotstand bringen dürfte, wenn man sich die Cover der beiden vor "Criminal Art Lovers" erschienenen EPs ansieht (rechts in der obigen Bild-Kombi), die auch noch die Smiths-Ästhetik aufgreifen. Die werde ich mir jetzt übrigens noch nachkaufen - das Album macht einfach zuviel Freude. (Matinee Records/Import)

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Northern Portrait

Coverfoto: Matinee Records

Tätärä: "Maximum Brass"

Und wenn wir schon bei Chamäleoneffekten sind: Dieses Album hieß ursprünglich "Maxïmo Brass" und prunkte mit einem ganz an "A Certain Trigger" angelehnten Cover - da hatte die Plattenfirma letztlich dann aber doch etwas dagegen. Die Idee hinter dem Titel war, dass sich das Hamburger Straßenmusikerkollektiv um Anselm Kluge auf seinem jüngsten Album nur Songs aus Indieland widmete (darunter eben auch "Apply Some Pressure" von Maxïmo Park). Wie gehabt blechgeblasen und getrommelt, dass kein Auge trocken bleibt.

Es hagelt aufgeräumte Versionen von The Cures "Just Like Heaven" oder Peter Bjorn and Johns "Young Folks" ... mitunter stellen sich dabei auch unerwartete Verwandtschaften ein: Was fast wie "Azzurro" beginnt, wird doch noch zu "Wonderwall" - und "Tainted Love" klingt in dieser Version wie ein Medley, in das "Good Thing" der Fine Young Cannibals eingeflossen ist. Tätära sind ja auch verspielt und verstecken in den Stücken Gimmicks aus anderer Quelle - müsste mich doch sehr verhört haben, wenn sich da nicht zum Beispiel das Finale der "Simpsons"-Signation aus dem Lärm schälen würde. - Ähnlich wie bei Pop-Chören und anderen Cover-Projekten der skurrileren Art funktionieren auch Tätära im wesentlichen über den Novelty-Faktor, soll heißen: einmal. Aber sie verstehen sich ja auch primär als Live-Band - da kann sich jedes Straßenfest glücklich schätzen, sie zu engagieren. (Indigo/Hoanzl)

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Tätära

Coverfoto: Indigo

Frazey Ford: "Obadiah"

Am komplett anderen Ende des Aufgeregtheits-Spektrums angesiedelt ist Frazey Ford: In aller Ruhe vermählen sich hier Gitarre, Banjo und eine Orgel, die ebenso schummert, wie Frazeys Stimme .... nun ja, "wimmert" wäre zuviel gesagt, aber sie legt schon immer wieder mal eine Portion Vibrato in ihren Gesang: Kein Wunder, dass schon mehrfach Beth Gibbons als Vergleich genannt wurde. Frazey Ford ist allerdings deutlich einfacher anzuhören - was nicht zuletzt daran liegt, dass sie auf der Tonleiter ein paar Sprossen weiter unten sitzt.

Zuvor Drittel des hierzulande wenig bekannten Folk-Trios The Be Good Tanyas, hat die kanadische Sängerin mit "Obadiah" ihr Solo-Debüt veröffentlicht. Dass es sich beim Namensgeber um eine von mehreren möglichen biblischen Figuren handelt, passt insofern, als das ganze Album in einem Schwebezustand verharrt: Vieles bleibt vage und mehrfach deutbar (außer dass Frazeys Zugang zum Folk eindeutig traditionell geprägt ist, Sound-Experimente werden gescheut). "Obadiah" lebt eher von der über alle 13 Songs hinweg durchgehaltenen Atmosphäre als von individuell herausragenden Songs. Ein Anspieltipp sei aber doch hervorgehoben: "Blue Streak Mama", da kommt der Bass so richtig schön zur Geltung.

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Frazey Ford

Coverfoto: Soulfood

Lloyd Cole: "Broken Record"

Von wegen all dried up inside und not made for these times und was nicht alles: Der Altmeister der wohltemperierten Ballade ist nominell zwar immer noch solo unterwegs, hat sich für die Aufnahmen von "Broken Record" aber wieder in einen Band-Kontext gestellt und auf diese Art ein Album produziert, das in vielen Momenten an die alten Commotions-Zeiten erinnert. Das gilt für flottere Stücke ("Double Happiness"), erst recht aber natürlich für die Mehrzahl der Cole-typischen langsamen Stücke voller Selbsthader und Abfinden mit dem Alleinsein.

Begnadetes Crooner-Schmalz bietet "The Flipside", sommerfesttauglichen Schubidu-Country "Westchester County Jail" (mit im Chor: Joan Wasser alias Joan As Police Woman). Zwischendurch wechselt der Brite dann wieder in einen eher europäischen Stil herüber, um hintereinander eine Genevieve ("Oh Genevieve") und eine Mary ("Man Overboard") anzuschmachten. Dass die Flirts auf lange Sicht kein gutes Ende haben werden, ist zu befürchten - wird man wieder einmal sitzen gelassen, kann man aber wenigstens noch einen Song draus machen. Was in "Writers Retreat!" in die wunderschöne Zeile mündet: You can get a beat from a broken heart. (Tapete/Hoanzl)

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Lloyd Cole

Coverfoto: Tapete