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Philipp Kaufmann will mit Zertifikaten einen Anreiz schaffen

Foto: APA/ÖGNI/Lauringer Mathias

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Der "Power Tower", die Zentrale der Energie AG Oberösterreich, ist der weltweit einzige Büroturm mit Passivhausstandard

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STANDARD: Die ÖGNI feierte kürzlich ihren ersten Geburtstag. Wie lautet Ihr Resümee nach einem Jahr?

Kaufmann: Ich war überrascht, dass unser Angebot so gut angenommen wird. Vor allem, weil gerade beim Thema Nachhaltigkeit in der Vergangenheit immer wieder zu hören war: Brauchen wir das überhaupt? Rechnet es sich?

STANDARD:  Ist diese Skepsis schon verflogen?

Kaufmann: Es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, die eine Chance darin erkennen, sich über Qualität zu differenzieren, um so auch aus der Krise gestärkt hervorzugehen. More of the same - das genügt nicht mehr. Ein Aspekt ist gesundes Bauen. Wer sich über dieses Thema positionieren kann, hat in Zukunft bestimmt einen Vorteil.

STANDARD: Warum wird erst jetzt darüber nachgedacht?

Kaufmann: Weil es bisher keine Normen und Standards gab. Außerdem fehlte das Know-how für die Anwendung. Wenn man ein neues Produkt auf den Markt bringt, braucht man auch Architekten, die sich damit auseinandersetzen. Es ist immer leichter, mit dem weiterzumachen, was man schon kennt. Zudem braucht es das Wissen der Handwerker. Sie müssen schließlich mit einem neuen Baustoff umgehen.

STANDARD: Es gibt bereits diverse Gebäudebewertungssysteme wie etwa LEED in den USA oder breeam in Großbritannien. Die ÖGNI_will das System der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) in Österreich einführen. Wo liegen die Unterschiede?

Kaufmann: Wir sehen uns nicht nur als Zertifizierer. Wir wollen das Thema nachhaltiges Bauen und Bewirtschaften als Plattform voranbringen. Es soll aber über das Werkzeug hinausgehen. Wir haben für die einzelnen Themenbereiche Paten, die man ansprechen kann - ganz im Sinne eines Wissenstransfers. Die Leute können sich aktiv einbringen. LEED ist wirklich gut, aber nach dem Prinzip „one fits all" für den US-amerikanischen Markt zugeschnitten. Man müsste also alles in amerikanischer Norm ausrechnen. Lieber wollen wir ein System mitgestalten, wo wir aus dem Bauschaffen heraus bestehende Dinge - Beispiel Energieausweis - verwenden. Die Zertifizierung sollte bereits Teil der Planung sein und nicht erst am Ende stattfinden. 

STANDARD: Das heißt: laufende Zertifizierung am Bau?

Kaufmann: Ja, es soll aus dem Baugeschehen heraus nachhaltig sein. Ich hoffe, dass das, was wir jetzt machen, in fünf bis zehn Jahren schon so sehr zur Normalität geworden ist, dass kein Mensch mehr danach fragt. Momentan haben wir nur ein Problem: Die Architekten haben es nicht gelernt, und die Baufirmen sind es nicht gewohnt. Das heißt, wir müssen über dieses Zertifizierungssystem erst einmal einen Anreiz schaffen, sich damit überhaupt zu beschäftigen. In diesem Punkt sind wir erst in der Transformation.

STANDARD: Es ist demnach auch ein Verkaufsargument.

Kaufmann: Ja, aber nur, wenn es auch glaubwürdig ist und nicht nur dem Grünwaschen dient. Das Argument ist, es transparent zu machen und die Sicherheit zu geben. Ist das erfüllt, dann ist das Zertifikat eine Garantie, dass klar definierte Richtlinien beim Bau eingehalten wurden. Zusätzlich dazu schafft unsere Qualitätssicherung in diesem System Sicherheit.

STANDARD: Nach welchen Indikatoren werden Gebäude verglichen?

Kaufmann: Es gibt über fünfzig Kriterien. Wir haben fünf Hauptparameter, die gleich gewichtet sind. Besonders heftig diskutiert wurde, ob die Ökologie wichtiger ist als die Ökonomie.

STANDARD: Was kam dabei heraus?

Kaufmann: Wir haben entschieden, dass beide gleich stark sind. Das ist eine Systementscheidung: Ökologie, Ökonomie, soziokulturelle und technische Qualität stehen nebeneinander mit der gleichen Gewichtung. Es hat keinen Sinn, einen Bauherren zu zwingen, ökologische Standards zu erfüllen, die er sich womöglich gar nicht leisten kann, weil sich dadurch vielleicht die Mieten so sehr erhöhen, dass niemand ein Büro mietet. Und Leerstand ist im Sinne der Nachhaltigkeit auch nicht wünschenswert. Anders gesagt: Ein Gebäude, das vielleicht nicht alle Kriterien erfüllt, dafür aber genutzt wird, ist um eine Spur besser als eines, das tipptopp ist, aber leersteht.

STANDARD: All diese Kriterien fließen in das "Blue Building"-Konzept der ÖGNI mit ein?

Kaufmann: Unser Ansatz geht über das "Green Building Programm" der Europäischen Kommission, das sich fast ausschließlich mit Energie beschäftigt, weit hinaus. Es geht uns um eine erkennbare Unterscheidung zur reinen Energieeffizienz - die auch wichtig ist, keine Frage! Doch "Blue Building" ist ein ganzheitlicher Ansatz, der sich auch mit anderen Fragen beschäftigt wie etwa: Woher kommt das Baumaterial? Welche Produkte werden eingesetzt? Und auch: Unter welchen Arbeitsbedingungen sind diese entstanden?

STANDARD: Wie geht es weiter?

Kaufmann: Wir entwickeln im Augenblick ein System zur Bestandserfassung, weil dort der größte Hebel ist. Der Neubau hat prozentuell keinen sehr hohen Anteil. Die Masse macht der Bestand aus. Bis wir diesen durchsaniert haben, brauchen wir rund 50 Jahre. Das ist die Herausforderung, vor der wir nun stehen.  (Markus Böhm, DER STANDARD Printausgabe 2/3.Oktober 2010)