Der Althistoriker Frank Kolb legt ein Buch vor, in dem er die Einhaltung wissenschaftlicher Grundsätze einfordert.
Wenn unter Archäologen und Althistorikern vom Streit um Troja die Rede ist, so ist damit nicht mehr jener Krieg gemeint, den Homer in seiner Ilias beschreibt. Die Auseinandersetzung hat aber auch epische Dimensionen angenommen, wie die Keilerei zwischen Griechen und Trojanern. Seit Jahren kämpfen deutsche Gelehrte gegeneinander, nicht mit Schwert und Speer, sondern mit der Klinge des Wortes, der Mobilisierung von Medien und Politik und auch mithilfe eines Anwalts.
Frank Kolb, Tübinger Althistoriker und gleichsam der Anführer des einen Heeres – nennen wir es das antitrojanische – hat nun ein Buch darüber geschrieben. In Tatort "Troia" lässt der Tübinger Alt-historiker erwartungsgemäß kein gutes Haar an der – nennen wir sie die trojanische – Gegenseite. Kolb nimmt es genau: er schreibt Troia mit "i" und setzt es in Anführungszeichen. Und genau darum dreht sich der gelehrte Streit: ob Homers Epos einen historischen Kern besitzt, jene mächtige Stadt Troja "wirklich" existierte und sich in den Überresten von Hisarlik in der heutigen Türkei verorten lasse.
Genau das behauptet(e) der Anführer der Trojaner, der Tübinger Archäologe Manfred Korfmann und dessen "Sänger", wie Kolb den Basler Gräzisten Johann Latacz abschätzig nennt. Der 2005 verstorbene Korfmann begann 1988 mit seinen Grabungen in Hisarlik. Er glaubt dort unterhalb der Burg eine dicht bebaute Unterstadt samt Stadtmauer entdeckt zu haben. Troja sei eine mächtige Stadt mit bis zu zehntausend Einwohnern und ein überregionales Handelszentrum gewesen. Viele Althistoriker und Archäologen halten dies für falsch. Kolb legt ausführlich dar, warum. Korfmann und Co. würden kaum nennenswerte Funde hochjazzen – aus einem kleinen Abwasserkanal würden Fundamente von Stadtmauern, aus einem einzelnen Siegel ein Beleg für Schriftlichkeit. Wissenschaftlich unredlich lege Korfmann verschiedene Siedlungsschichten zusammen, um den Eindruck dichter Bebauung zu erzeugen. Die Siedlung sei bestenfalls ein kleines, regionales Zentrum gewesen, lag fernab der spätbronzezeitlichen Handelsrouten und verdiene nicht die Bezeichnung Stadt. Das Buch ist mehr als eine Abrechnung unter Gelehrten. Tatort "Troia" ist ein Dokument der Wissenschaftsgeschichte, da Kolb gerade auch die engen Verflechtungen der Archäologie mit Medien und Politik thematisiert.
Keine Fachkontrolle
Kolbs – gut belegter – Vorwurf lautet, dass Korfmann und Latacz die in der Wissenschaft übliche Kontrolle durch die eigenen Fachkollegen umgangen hätten, indem sie sich direkt an die Öffentlichkeit wandten. Dabei hätten sie sich die große Bekanntheit Trojas zunutze gemacht und gezielt die irrige Vorstellung befeuertet, das Troja Homers habe existiert.
Korfmann, dem kurz vor seinem Tod noch die türkische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, habe auch gezielt seine Grabungen in Hisarlik politisch instrumentalisiert. Es habe genau den Begehrlichkeiten türkischer Identitätspolitik entsprochen, die Echtheit Trojas zu beweisen und so einen "Beleg" für die enge und weit zurückreichende kulturelle Verflechtung mit Europa zu liefern – und damit einen Trumpf in der Debatte um den EU-Beitritt des Landes. Kolb weist zu Recht darauf hin, dass die Instrumentalisierung der Archäologie immer zweischneidig ist. So könnte man Troja genauso gut als Beleg für den vermeintlich Jahrtausende alten Konflikt zwischen Osten und Westen (Trojanern und Griechen) anführen, wie türkische Nationalisten das getan haben.
Auch die Finanzierung der Grabungen Korfmanns habe die wissenschaftliche Interpretation verzerrt. Denn Hauptsponsor war und ist die Mercedes A. G. (heute DaimlerChrysler); deren Vorstand war seinerzeit der in Ankara aufgewachsene Edzard Reuter, ein entschiedener Befürworter einer stärkeren Integration der Türkei. So verwundere es nicht, dass sich der Konzern mit dem Stern eine Berichterstattung wünschte, die die historische Bedeutung Hisarliks herausstrich.
Kolb fordert immer wieder die Einhaltung wissenschaftlicher Grundsätze ein. Methodisch saubere Forschung habe nicht auf Schlagzeilen in der Presse zu schielen oder gar nach politischer Protektion zu gieren. Wer möchte dem widersprechen? Und doch zeigt gerade Kolbs Buch, wie schwierig das bei einem heißen Thema wie Troja ist.
Indem Kolb sich ab Sommer 2001 mit scharfen Attacken gegen Korfmann selbst an die Medien wandte, fand er für die innerhalb der Fachdisziplinen längst geübte Kritik den öffentlichen Widerhall. Und so sehr er Korfmann und Latacz für die Instrumentalisierung der Medien rügt, so tut Kolb letztlich nichts anderes. Er würde wohl entgegnen, die Geschichtsklitterung der Trojaner hätte ihm keine Wahl gelassen. Archäologie ist auf Finanzierung und öffentliche Akzeptanz angewiesen und wird sich daher kaum je dem Erwartungsdruck und vorherrschenden Geschichtsbildern vonseiten der Medien und der Politik entziehen können. Der in der Öffentlichkeit weit verbreitete Glaube an die Historizität des Trojanischen Krieges lässt sich wohl kaum erschüttern. Man könnte sagen: Mythos schlägt – wieder einmal – die Kritik. Oder aber auch: Kolbs Forderung nach einer ideologiefreien Wissenschaft ist ein schönes, aber realitätsfernes Ideal. (Oliver Hochadel/DER STANDARD, Printausgabe, 29.09.2010)