Wien - Die Bemühungen von staatlicher Seite hielten sich in Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen, abgesehen von einem einmaligen "Runden Tisch", bis dato in Grenzen. Doch jetzt könnte auch die Republik vor allem rund um die Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche unfreiwillig zur Verantwortung gezogen werden. Ein Opfer sieht den Staat in der Pflicht und fordert rund 690.000 Euro an Entschädigung. Die Wiener Anwältin Vera Weld hat jetzt im Namen ihres Mandanten ein entsprechendes Aufforderungsschreibens bei der Finanzprokuratur der Republik Österreich eingebracht.

"Auf ewig und Amen"

Heikel könnte es für die Republik, nach Ansicht der Juristin, aufgrund des Konkordats werden. "Die Kirche genießt durch diese völkerrechtliche Vereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Österreich eine Sonderstellung und verfügt über zahlreiche Privilegien. Und ist die Kirche nicht haftbar, muss der Vertragspartner in die Pflicht genommen werden. Immerhin hat der Staat ja auch den Vertrag auf ewig und Amen unterzeichnet", so Weld. Konkret sei im Fall ihres Mandanten der Staat seiner Aufsichts- und Schutzpflicht in der Schule nicht nachgekommen.

Der heute 60-Jährige war in den sechziger Jahren in einem Grazer Ordens-Internat untergebracht und, nach eigenen Angaben, sexuellen Belästigungen und körperlichen Übergriffen durch den damaligen Präfekten ausgesetzt. "Da jedem Geistlichen gemäß Artikel XVI. des Konkordats‚ das ´Recht des freien Zutritts zu Anstaltsinsassen, die in Anstalten für Erziehungsbedürftige untergebracht sind, behufs freier Ausübung seines geistlichen Amtes‘ gewährleistet ist und dieses Recht von dem Präfekten missbraucht wurde, hat die Republik Entschädigungen zu leisten", ist Weld im Standard-Gespräch überzeugt.

Ihr Mandant habe durch den Missbrauch schwere gesundheitliche Nachteile erlitten: "Psychose, Suizidversuch - 105.000 Euro Therapiekosten. Und ein abgebrochenes Technik-Studium sowie eine gescheiterte Ehe." Die Summe von exakt 686.875,49 Euro hält Weld für angemessen: "Neben den Therapiekosten wurden zur Berechnung die parallelen Verdienstmöglichkeiten herangezogen, wäre es möglich gewesen, die ursprünglich geplante Karriere zu machen." Bis zum 5. Oktober hat die Republik Zeit, das Geld zu überweisen, sonst rechnet die Anwältin mit einem Klagsauftrag. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, Printausgabe, 29.9.2010)