Naturheilmittel, wie das Johanniskraut, können auch die Wirkung anderer Medikamente beeinflussen.

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Inzwischen rückt auch Kamille in das Blickfeld der Arzneiwächter.

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Pflanzen waren die erste und lange Zeit einzige Medizin, die dem Menschen zur Verfügung stand. Noch heute erfreuen sich Naturheilmittel großer Beliebtheit. Immerhin versprechen sie Heilung direkt aus der Natur. Viele Menschen schreiben Pflanzen eine geradezu mystische Heilkraft zu, ohne Chemie, ohne Nebenwirkungen. Es scheint, als sei gegen jede Krankheit ein Kraut gewachsen. Aber das Bild der gütigen Natur ist Aberglaube.

Tatsächlich handelt es sich bei den medizinisch interessanten Inhaltsstoffen von Pflanzen meist um Verteidigungswaffen. Da Gräser und Kräuter nicht fliehen können, haben sie diese Stoffe entwickelt, um Läusen, Raupen und Käfern zu schaden und ihnen so das Mahl zu verderben. Die Moleküle haben sich also im Laufe der Evolution an bestimmte Ziele im Körper dieser Fressfeinde angepasst. Weil viele dieser Ziele auch im menschlichen Körper noch eine Rolle spielen, wenn auch an ganz anderer Stelle, können die pflanzlichen Abwehrstoffe im menschlichen Körper vieles bewirken, mitunter sehr gutes.

"Ohne Zweifel gibt es in der Pflanzenheilkunde die am besten belegten Therapien im Bereich der Komplementärmedizin", sagt Edzard Ernst. Er erforscht das Feld seit vielen Jahren und hat an der Universität Exeter einen Lehrstuhl für Komplementärmedizin inne. Es gebe etwa zehn Pflanzenheilmittel, deren Wirksamkeit sehr gut belegt sei, sagt Ernst. Dazu zähle Johanniskraut gegen Depressionen oder Teufelskralle gegen Muskelschmerzen. "Bei mehreren Dutzend wissen wir, dass sie nicht wirken und bei vielen tausend wissen wir nicht genug, um ein Urteil fällen zu können."

Dem fraglichen Nutzen vieler Präparate steht ein reales Risiko gegenüber. Denn der Glaube, dass etwas nicht schaden könne, nur weil es aus der Natur kommt, ist Unsinn. "Die Menschen vergessen häufig, dass es in der Natur ungeheuer starke Gifte, vom Knollenblätterpilz bis zur Tollkirsche, gibt", sagt Jürgen Windeler, der ab dem 1. September das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln leiten wird. "Und natürlich können andere Substanzen auch schwere Schäden verursachen, ohne einen Menschen zu töten."

Tatsächlich gibt es zahlreiche Beispiele für schwere Nebenwirkungen pflanzlicher Arzneimittel. Das geht von Allergien bis hin zu Krebs und lebensgefährlichen Leberschäden. So warnte das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) im Dezember 2007 vor zahlreichen chinesischen Naturheilmitteln, die übers Internet gekauft werden können und Aristolochiasäure enthalten können. Der Stoff aus Osterluzeigewächsen schädigt die Leber und verursacht Krebs.

In den Fünfzigerjahren gab es in Deutschland zahlreiche Präparate dieser Pflanzen zu kaufen. Sie sollten den Herzkreislauf stärken. Die "Heilmittel" wurden erst 1981 in Deutschland verboten, nachdem die Nebenwirkungen bekannt wurden. "So etwas nimmt man dann natürlich vom Markt", sagt Ernst. "Aber man fragt sich schon, für wie viele weniger untersuchte Pflanzenheilmittel Ähnliches gilt, und es ist nur nicht bekannt."

Massiver Leberschaden

Aristolochia ist kein Einzelfall. Präparate der Traubensilberkerze, die im Internet vor allem gegen Beschwerden der Wechseljahre aber auch gegen Asthma, Muskelschmerzen und Diabetes angepriesen werden, müssen seit September 2009 einen Warnhinweis tragen, weil sie die Leber schwer schädigen können. Und 2002 wurden in England zahlreiche Fälle bekannt, in denen Patienten, die das Pfeffergewächs Kava Kava zu sich genommen hatten, schwere Leberschäden davontrugen. Sechs Patienten benötigten eine Lebertransplantation, drei starben. Das BfArm hob daraufhin im Juni 2002 die Zulassung für die Präparate auf.

In einer Übersichtsarbeit hat Edzard Ernst Berichte über schwere Leberschäden durch Pflanzenheilmittel zusammengetragen. Das Ergebnis: Bei vielen Naturarzneien gibt es Grund zur Annahme, dass sie die Leber schädigen können. Bewiesen ist das damit keineswegs. "Insgesamt wissen wir noch immer sehr wenig über Nebenwirkungen pflanzlicher Arzneimittel", sagt auch der Pharmakologe Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg. "Menschen, die solche Mittel nehmen, neigen dazu, Nebenwirkungen nicht zu melden, auch weil sie glauben, dass es keine Nebenwirkungen geben kann." Möglich also, dass im Kräutergarten noch weit mehr Gefahren lauern.

Doch nicht nur die Nebenwirkungen machen Medizinern zu schaffen. Naturheilmittel können auch die Wirkung anderer Medikamente beeinflussen. Gut belegt ist das für Johanniskraut. Obwohl das pflanzliche Mittel nicht rezeptpflichtig ist, ist es Ursache lebensbedrohlicher Interaktionen. Denn in dem Kraut sind Stoffe enthalten, die in der Leber die Herstellung eines Eiweißes namens CYP3A4 befeuern. Dieses Eiweiß wiederum ist für den Abbau von Arzneimitteln im Körper wichtig. Ist mehr CYP3A4 vorhanden, werden Medikamente schneller abgebaut.

Wechselwirkungen

Das kann katastrophale Konsequenzen haben. Menschen die eine Lunge oder eine Niere transplantiert bekommen haben, erhalten danach das Medikament Cyclosporin, um zu verhindern, dass der Körper das Organ abstößt. Nimmt der Patient gleichzeitig Johanniskraut, produziert er mehr CYP3A4. Das Cyclosporin wird schneller abgebaut, der Körper stößt das Organ ab. Aber auch die weitverbreiteten gerinnungshemmenden Mittel werden durch Johanniskraut schneller abgebaut, und damit eine lebensbedrohliche Gefahr. Auch die Wirksamkeit der Antibabypille kann durch Johanniskraut verringert werden.

Inzwischen rückt auch Kamille in das Blickfeld der Arzneiwächter. Es gibt Anzeichen auf Wechselwirkungen mit Cyclosporin und Blutgerinnungsmitteln. "Das könnte ein ganz ähnlicher Mechanismus sein wie bei Johanniskraut, nur in viel geringerem Maße", sagt Werner Knöss vom Bfarm. Die Konsequenz sei klar, sagt Jürgen Windeler. Wer Pflanzenpräparate nehme, solle immer mit einem Arzt darüber sprechen. "Menschen sollten wissen, dass Medikamente, die aus Pflanzenbestandteilen hergestellt sind, genauso Medikamente sind wie alle anderen auch." (Kai Kupferschmidt, DER STANDARD, Printausgabe, 27.09.2010)