Hat nie einen Sprachkurs besucht: Muhamed Mesic

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"Manche Leute sagen zu mir: 'Es ist unmöglich, dass du all diese Sprachen fehlerfrei sprichst.' Dann sage ich: Das habe ich eigentlich auch nie behauptet."

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Mesic hält nichts davon, Zugewanderte zu einem Deutschkurs zu verdonnern

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Als er 13 Jahre alt war, sprach er sieben Sprachen, der Eurovisions-Songcontest und UNO-Soldaten waren seine Lehrer. Heute hält Muhamed Mesic bei 56 Sprachen, aber es werden laufend mehr. Warum er sich das antut, wie er dabei vorgeht, und welche Sprachkenntnisse er in seinem Lebenslauf verschweigen würde, hat er Maria Sterkl erzählt.

derStandard.at: Herr Mesic, wie viele Sprachen sprechen Sie? Sind die kolportierten 56 Sprachen noch aktuell?

Muhamed Mesic: Sagen wir, dass es aktuell ist. Ich zähle sie nicht, mir geht es ja nicht um die Zahl. Aber gut: Ich kann ein gutes Dutzend Sprachen so gut wie Deutsch, und gute zwei Dutzend weitere Sprachen so, dass ich Verträge lesen kann. Andere Sprachen wie Koreanisch reichen für eine Unterhaltung.

derStandard.at: Warum lernen Sie so viele Sprachen?

Mesic: Weil es mich glücklich macht. Manche spielen Computer-Spiele, andere gehen Fußball-Spielen, andere ins Theater, ich lerne Sprachen.

derStandard.at: Und wie entscheiden Sie, welche Sprache als nächstes kommt?

Mesic: Jetzt zum Beispiel habe ich das Krimtatarische im Programm, weil ich die Geschichte der Krimtataren irrsinnig interessant finde. Türkisch habe ich gelernt, weil ich verliebt war. Es muss halt eine persönliche Motivation geben.

derStandard.at: Wie gehen Sie vor, wenn Sie mit einer neuen Sprache anfangen?

Mesic: Meistens kaufe ich mir erst einen Reise-Sprachführer: "Wo ist die Bank? Wo ist die Post? Wo kriege ich Briefmarken?" Das ist gut für den Einstieg. Auch sehr gut sind Missions-Videos. Kurze Filme, die irgendwelche christlichen Geschichten für kleine Völker in Afrika oder Zentralasien erzählen. Die eignen sich gut für Sprachen mit relativ wenigen Sprechern. Aber die wichtigste Ressource ist das Internet. Ich arbeite viel mit YouTube-Videos, Liedern, Filmen.

derStandard.at: Wie präsent ist Ihre Muttersprache Bosnisch noch?

Mesic: Ich spreche zwar im Alltag Deutsch und schreibe 80 Prozent meiner E-Mails auf Englisch – aber zuhause, allein mit meinem Bügeleisen, ärgere ich mich auf Bosnisch. Das Bügeln ist ja eine der Aktivitäten, die ich bewundere, ich finde das schwieriger als georgische Grammatik – und die ist wirklich erstaunlich kompliziert.

derStandard.at: In welchen Sprachen träumen Sie?

Mesic: Das ist ganz unterschiedlich. Vielleicht deshalb, weil es im Traum diese ganzen Grenzen nicht gibt. Ich träume auch auf Isländisch. Das hängt wohl davon ab, was bei mir gerade „in" ist. Ein Vorteil am Mehrsprachig-Sein ist ja, dass man sagen kann: "Okay, heut hab ich Lust auf Russisch."

derStandard.at: Warum sollten Menschen mehrere Sprachen lernen?

Mesic: In Österreich nicht mehrsprachig zu sein, ist eigentlich eine Beleidigung der Tradition dieses Landes. Früher haben Geisteswissenschafter in Österreich ja nicht nur Deutsch, Französisch und Latein gekonnt, sondern auch Ungarisch oder Tschechisch. Mehrsprachig zu sein, hilft – man kann im Alltag stehen bleiben und sagen: "Okay, ich habe jetzt ein Problem und komme nicht mehr weiter. Also denke ich es in einer anderen Sprache durch." Das kann wirklich ein Vorteil sein.

derStandard.at: Gibt es für bestimmte Probleme jeweils bestimmte Sprachen – eine Sprache fürs Beziehungsproblem, eine für den verstopften Abfluss?

Mesic: Ich tu mir eigentlich schwer, einen qualitativen Unterschied zwischen einem Beziehungsproblem und einem verstopften Abfluss zu finden. Probleme sind Probleme.

derStandard.at: Vermitteln bestimmte Sprachen andere Grundstimmungen als andere?

Mesic: Ich bezweifle das. Ich glaube eher, dass die Umgebung, in der sie gesprochen wird, auf die Sprache abfärbt. Dass Menschen, die rein klimatisch aus einer fröhlicheren Gegend kommen, auch fröhlicher reden. Norweger haben 200 Tage im Jahr schlechtes Wetter – kein Wunder, dass sich Norwegisch irgendwie deprimiert anhört.

derStandard.at: Anders gefragt: Gibt es Sprachen, die sich besser für den Wutausbruch eignen?

Mesic: Ich kenne genügend Menschen in Wien, die zuhause Deutsch nur dann sprechen, wenn sie sehr böse sind. Weil sie einfach Deutsch mit dem offiziellen Leben, mit der Arbeit, dem Amt verbinden. "Was machst du da?", schimpfen sie mit dem Kind, oder "Du Depperter" – und dann reden sie wieder Türkisch oder Serbisch.

derStandard.at: Weil das Deutsche für sie jene Sprache ist, in welcher der/die ChefIn zu ihnen spricht?

Mesic: Genau. Außerdem haben viele Zuwanderer einen großen Respekt vor dieser Sprache, weil man nicht die ganze Palette an Gedanken in ihr ausdrücken kann. Das hat nicht unbedingt mit Wortschatz zu tun: Ich kenne zum Beispiel viele Serben, die auf Serbokroatisch keinen wahnsinnig großen Wortschatz haben, aber sie können viel besser ihre Gefühle erklären. Auf Deutsch müssen sie ganz genau überlegen, welche Wörter sie verwenden, um den gewünschten Effekt zu bekommen. Wenn man den Gasmann auf Serbisch anschreit, dann bringt das meistens wenig.

derStandard.at: Wann haben Sie begonnen, Sprachen zu lernen?

Mesic: Ich bin im Bosnien-Krieg aufgewachsen. Und im Krieg ist man isoliert, nur von Pessimisten umgeben, aber sieht ständig Bilder von draußen. Also habe ich angefangen, pakistanische oder schwedische UNO-Soldaten nach Wörtern in ihrer Sprache zu fragen. Mein erster Text auf Schwedisch war die schwedische Nationalhymne, die kann ich heute noch auswendig. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich bereits Englisch und Griechisch. Englisch kann ich, seit ich denken kann, wir haben immer englische Lieder gehört zuhause. Griechisch habe ich mit fünf Jahren im Griechisch-Urlaub gelernt. Dann kam Französisch, Italienisch, Portugiesisch und Deutsch dazu. Mit 13 lernte ich dann Ungarisch mit einem Sprachführer auf Deutsch und ungarischen Frauenzeitschriften.

derStandard.at: Wie lernt man als Kind im Krieg Portugiesisch?

Mesic: Eine wichtige Quelle für mich war der Eurovisions-Songcontest. Ich habe keinen Songcontest seit 1989 verpasst. Sogar in den Kriegsjahren hat meine Schwester immer irgendwas mit der Antenne herumgetan, damit der Empfang passt, und glücklicherweise hatten wir zum Songcontest immer Strom. Portugiesische Liedertitel waren einfach schön, also why not. Dann habe ich 1995 aus Italien ein Taschenwörterbuch Italienisch-Portugiesisch mitgenommen, und das habe ich tagelang nach der Schule von A bis Z gelesen.

derStandard.at: Hatten die Eltern ihre Finger im Spiel?

Mesic: Meine Mutter war Englisch-Lehrerin. Und was mich bei meinem Vater immer fasziniert hat, war, dass er Bücher in Sprachen gelesen hat, die er eigentlich nicht versteht. Er ist Bauingenieur, und liest heute noch viel Wissenschaftliches auf Deutsch. Bei Straßenbau und Tiefbau ist sein Wortschatz unendlich – aber ich glaube nicht, dass er sich in Wien einen Kaffee bestellen könnte.

derStandard.at: Wie halten Sie die 50 Sprachen frisch?

Mesic: Ich höre viel Musik, und im Fitnessstudio Audiokurse und Podcasts. Bei mir geht viel über die auditorische Wahrnehmung. Das ist bei einigen Menschen so. In Bosnien gab es nach dem Krieg eine regelrechte Flut an Telenovelas aus Südamerika im Fernsehen, alle mit Untertiteln. Und heutzutage gibt es eine Menge Leute zwischen 18 und 30 Jahren, die erstaunlich gut Spanisch sprechen, weil sie die Sprache damals stundenlang gehört haben. Alle wollten so sprechen wie die Esmeralda und die Marisol, und wie die Heldinnen alle heißen. Die Leute haben dann bei Sprachschulen angerufen und Spanisch-Kurse gefordert.

derStandard.at: Was halten Sie vom Sprachen-Lernen in der Schule?

Mesic: In der Schule geht es nur um die Angst vor Fehlern – "Wehe, du sagst 'das Maus' ". Dabei ist es für viele Menschen unlogisch, warum auch die männliche Maus "die Maus" sein soll. Man sollte einfach nur reden – auch, wenn ein Fehler passiert. Ich mag es auch ganz gern, wenn man mich berichtigt. Manche Leute sagen zu mir: Es ist unmöglich, dass du all diese Sprachen fehlerfrei sprichst. Dann sage ich: Das habe ich eigentlich auch nie behauptet. Mir ist wichtig, zu verstehen, und verstanden zu werden. Und natürlich, es so gut wie möglich zu tun, damit möglichst wenige Missverständnisse entstehen.

derStandard.at: Wie viel Zeit verbringen Sie eigentlich mit Sprachen-Lernen?

Mesic: Ich weiß nicht, wann ich Sprachen lerne und wann nicht. Ich spreche zum Beispiel sehr gut Hebräisch. Wenn ich nun eine israelische Zeitung lese, lerne ich dann eine Sprache? Insofern ja, als ich pro Artikel fünf Wörter finde, die ich dann im Wörterbuch nachschlage. Aber ich definiere es nicht als Lernen.

derStandard.at: Aber bis Sie soweit sind, dass Sie eine Zeitung lesen können, vergeht doch ein mühsamer Prozess des Vokabel-Lernens.

Mesic: Also mühsam würde ich das nicht nennen. Ich merke mir Sachen einfach leicht – von Kennzeichen bis Telefonnummern, das ist fast schon etwas zwanghaft bei mir. Aber ob es mühsam ist – auf jeden Fall ist Disziplin wichtig, regelmäßiges Lernen. Wenn du einmal pro Woche lernst, dann mach es einmal pro Woche, aber nicht einmal so, einmal so. Ich sage ja auch nicht: Ich mache Diät, also verzichte ich auf Süßigkeiten, aber nur montags. Wenn, dann jeden Tag.

derStandard.at: Konzentrieren Sie sich immer nur auf eine Sprache?

Mesic: Jetzt lerne ich Krimtatarisch. Dass ich jetzt gleichzeitig mit Kirgisisch anfange – eher nicht. Ich will mich ja richtig einleben können. Es gibt sehr schöne Lieder auf Krimtatarisch, die höre ich beim U-Bahn-Fahren.

derStandard.at: Wann hören Sie auf, sich in eine Sprache zu vertiefen?

Mesic: Ich lerne eine Sprache nur so weit, wie es mir Spaß macht. Wenn ich ins Baskenland fahre, lerne ich so weit Baskisch, dass ich mich im Alltag verständigen kann und die Leute sagen: "Wie schön, du sprichst Baskisch, das ist doch so selten." Aber dass ich die Gesetze des Baskenlandes in der Originalfassung lesen kann - nicht wirklich.

derStandard.at: Ist Ihre Mehrsprachigkeit auch manchmal ein Nachteil?

Mesic: Mir ist einmal geraten worden, ich solle die sogenannten unnützen Sprachen in meinem Lebenslauf nicht erwähnen – Haida zum Beispiel, eine Sprache, die nur von circa 200 nordamerikanischen Ureinwohnern gesprochen wird. Man könne sonst denken: "Der arbeitet nix und lernt nur tagelang irgendwelche Sprachen."

derStandard.at: Verbinden Sie mit dem Sprachen-Lernen ein gesellschaftspolitisches Programm – gegen das reine Nützlichkeits-Denken?

Mesic: Jein. Ich definiere "nützlich" anders – nützlich ist alles, was mich oder andere glücklich macht. Mich hat einfach noch niemand überzeugen können, dass Vielfalt etwas Schlechtes ist. Und Sprachen können als herzzerreißende Türöffner fungieren – etwa wenn du mit Roma in ihrer Sprache sprichst. Plötzlich wirst du nicht mehr nur als Außenstehender gesehen.

derStandard.at: Wie kann Zugewanderten der Einstieg in die deutsche Sprache erleichtert werden?

Mesic: Man muss ihnen auf eine freundliche Art die Tür zur Sprache aufhalten, nicht nur Kurse anbieten. Im Kurs ist ein Lehrer, der wahrscheinlich überfordert und unterbezahlt ist und seine eigenen Probleme hat, und dort soll ich lernen? Nein: Wir müssen schauen, dass wir die deutsche Sprache in die Familien bringen. In manchen Ländern gibt es eigene TV-Sender, wo die Hauptnachrichten zwar in der Landessprache, aber in viel langsamerem Tempo gesprochen werden. Wo nicht nur gesagt wird, "Gegen Herrn X. wird ermittelt", sondern auch, wer dieser X. ist und was er gemacht hat. Oder dass im Leberkäse weder Leber noch Käse ist. Die "Zeit im Bild" mit türkischen Untertiteln – why not?

derStandard.at: Sie halten nichts von der Deutschtest-Pflicht vor der Einreise?

Mesic: Von solchen Forderungen kann man nichts halten. Wenn es nur heißt, "Lernt's Deitsch und passt scho", dann werden die Österreicher nie beginnen, sich für andere Sprachen zu faszinieren. Konflikte entstehen ja immer nur dann, wenn man sich gegenseitig nicht versteht – oder weil man glaubt, dass man nicht verstanden wird. Manche Österreicher reden ja gar nicht mit den türkischen Nachbarn, weil sie denken: "Der spricht eh kein Deutsch" – auch, wenn es gar nicht stimmt. Interesse zu zeigen würde auch uns helfen. In Chicago macht der Bürgermeister eine Ansprache auf Ukrainisch, weil dort eine große ukrainische Community lebt. Und das ist ganz selbstverständlich. Stellen wir uns vor, der Wiener Bürgermeister würde eine Ansprache auf Türkisch halten – er würde sofort als Staatsverräter denunziert werden.(derStandard.at/Maria Sterkl, 23.9.2010)