Der Detektor des CMS-Experiments am CERN.

Foto: CERN

Beispiel einer Proton-Proton-Kollision im CMS-Detektor bei 7 TeV Energie, in der mehr als 100 geladene Teilchen erzeugt wurden.

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Genf - 16 Jahre lang hat man am Compact Muon Solenoid (CMS) gebaut, einem hochhausgroßen Detektor des Large Hadron Collider (LHC) am Cern in Genf. Nun wurden die ersten Resultate des riesigen Instruments, an dessen Konstruktion auch österreichische Forscher maßgeblich beteiligt waren, publiziert. Und diese Resultate lieferten eine ordentliche Überraschung.

In ihrer gestrigen Publikation berichtet die CMS-Kollaboration nämlich über Anzeichen eines bislang nahezu unbekannten Phänomens in Proton-Proton-Kollisionen. Bei Kollisionen mit den jetzt erreichbaren höchsten Energien und bei Ereignissen mit "hoher Multiplizität", in denen hundert oder mehr elektrisch geladene Teilchen gleichzeitig produziert werden, wurden Verknüpfungen zwischen gewissen Teilchenbahnen gefunden, wie sie bei Protonen-Kollisionen noch nie gesehen wurden.

Guido Tonelli, der Sprecher des CMS-Experimentes erklärte in einem speziell einberufenen Seminar den Kollegen im CERN und den weltweit per Videokonferenz zugeschalteten Physikern: "Wir haben zwar aktiv nach einem solchen Phänomen gesucht, aber sein Auftreten bei Proton-Proton-Kollisionen kam dennoch unerwartet und ist deshalb äußerst interessant. Mehr Daten werden den Ursprung dieses Effekts ergründen lassen. Diese Beobachtung stellt die Stärke und die Vielseitigkeit des CMS-Detektors unter Beweis, ebenso wie die Qualität der Physiker, die ihn verwenden. Wir befinden uns jetzt auf dem Weg, Schritt für Schritt das neue Territorium zu erforschen, das LHC eröffnet hat."

Christian Fabjan, Direktor des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), umreißt den speziellen österreichischen Beitrag zur aktuellen Entdeckung: "Der Silizium-Spurdetektor von CMS und die Auswahlelektronik, welche für die Selektion der Ereignisse verantwortlich ist, sind wesentliche Komponenten für diese Messung. Das Institut für Hochenergiephysik hat entscheidend zur Entwicklung und dem Bau dieser Systeme und der Analyse der Daten beigetragen."

Die am CMS-Experiment unerwartet gefundenen Strukturen erinnern an solche, die am amerikanischen Schwerionenbeschleuniger RHIC (Relativistic Heavy Ion Collider) beobachtet wurden. Gerade wegen der Unterschiede zu den entsprechenden Ergebnissen bei Protonen-Kollisionen wurden diese als charakteristisch für die dort mögliche Produktion von Quark-Gluon-Plasma, einer neuartigen extrem heißen und dichten Materieform, interpretiert.

Weltweites Interesse

Die neuen Ergebnisse stoßen daher auf weltweites Interesse von theoretischen Kern- und Teilchenphysikern und sind auch von unmittelbarer Bedeutung für die Forschungsaktivitäten der Gruppe um Anton Rebhan, Institut für Theoretische Physik der Technischen Universität Wien, die sich mit der Theorie des Quark-Gluon-Plasmas beschäftigt.

Rebhan schätzt die neuen Daten von CMS als sehr bedeutsam und vielversprechend ein: "Derartige Muster in den Teilchenverteilungen wurden vorher nur in hochenergetischen Schwerionenkollisionen gesehen, bei denen Quark-Gluon-Plasma produziert wurde." Solche Kollisionen, allerdings bei viel höheren Energien als bisher machbar, sind am Ende dieses Jahres auch am LHC geplant.

Hypothetischer Vorläufer des Quark-Gluon-Plasmas

"Eine mögliche Erklärung dieses Phänomens ist, dass diese Strukturen einen Zustand noch vor der Erzeugung des Quark-Gluon-Plasma widerspiegeln", meint der TU Wien-Physiker. Ein zu solchen Strukturen passender hypothetischer Vorläufer des Quark-Gluon-Plasmas wird in der theoretischen Physik tatsächlich seit einiger Zeit diskutiert und manchmal als "Glasma" bezeichnet, aber niemand kam auf die Idee, dass es in Protonenkollisionen auf diese Weise beobachtbar werden könnte.

"Die hohen Energien und Teilchendichten des LHC machen es offenbar möglich, einen relativ direkten Blick auf diesen komplexen und faszinierenden Materiezustand zu werfen, der praktisch rein aus stark wechselwirkenden Gluonen besteht", vermutet Rebhan. (red)