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Heinrich Popow springt in Athen 2004 zu Bronze.

Foto: Archiv

derStandard.at: Wodurch haben Sie Ihr linkes Bein verloren?

Popow: Im Alter von acht Jahren wurde in meinem linken Wadenbein ein bösartiger Tumor gefunden, mit neun wurde mein Bein in Kniehöhe amputiert. Die Hälfte des Knies ist zwar noch vorhanden, es ist aber ohne jegliche Funktion.

derStandard.at: Wie sind sie als Kind damit umgegangen?

Popow: Es war gar nicht so schlimm für mich. Ich erinnere mich, dass mir keiner beantworten konnte, was auf mich zukommen würde. Für mich war dann schnell klar, dass es in meiner Hand liegt, was mit mir passiert.

derStandard.at: Ist es leichter mit zwei künstlichen Beinen zu laufen?

Popow: Es ist tatsächlich schwieriger mit einem gesunden Bein und einer Prothese zu laufen. Allein der Längenunterschied macht ein gleichmäßiges rhythmisches Laufen praktisch unmöglich.

derStandard.at: Mit Oscar Pistorius wird gerne Technodoping assoziiert. Läuft der Mann mit seinen Prothesen tatsächlich schneller als ein unversehrter Läufer?

Popow: Der Begriff Technodoping ist total fehl am Platz. Mit den Prothesen ist es wie in der Formel 1. Wenn ich mich in einen Ferrari setze, werde ich deshalb noch lange kein Weltmeister und auch die beste Prothese macht mich nicht zum Spitzenläufer.
Auch der Umgang mit einer Prothese will gelernt sein.

Ich habe mit einer Alltagsprothese zu laufen begonnen und bin damals 100 Meter bereits in nur 15,6 Sekunden gerannt. Ich dachte mit einer Sportprothese geht es noch viel leichter. Die Wahrheit ist, ich bin mit meiner ersten Sportprothese zwei Jahre langsamer gelaufen, als mit der Alltagsprothese. Oscar Pistorius ist nicht nur ein absolutes Ausnahmetalent, er beherrscht noch dazu seine beiden Prothesen hervorragend.

derStandard.at: Ist es auch Ihr Wunsch irgendwann bei den Olympischen Spielen  dabei zu sein?

Popow: Nein, das wäre utopisch. Die Fortschritte in der Prothesenentwicklung sind zwar groß, trotzdem wird mit Sicherheit im nächsten Jahrzehnt noch kein Oberschenkelamputierter bei der Olympiade dabei sein. Was sich jedoch derzeit im Behindertensport tut ist beachtlich. Wir beginnen jetzt professionell zu arbeiten, das heißt im Turn- und Sportverein Bayer 04 Leverkusen trainieren wir immer gemeinsam mit Nichtbehinderten. Die Leistungsexplosionen sind jetzt schon enorm, aber das Niveau behinderter Sportler wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen.

derStandard.at: Das heißt die Paralympics in Peking werden noch spannender als in Athen 2004?

Popow: Mir ist es peinlich, aber in Athen 2004 bin ich noch beim Hochsprung gestartet, obwohl ich überhaupt kein Hochspringer bin. In Peking wäre so etwas nicht mehr möglich. Die Leistungssteigerung der Paralympics-Athleten hat das Tanzen auf mehreren Hochzeiten unmöglich gemacht.

derStandard.at: Müssen Sie härter trainieren als ein unversehrter Leistungssportler?

Popow: Nicht härter, aber anders. Die Voraussetzungen sind zweifelsohne verschieden, aber das hindert nicht daran das Beste daraus zu machen. Das meiste spielt sich ohnehin im Kopf ab. Mit einer Prothese ist es wie mit den Laufschuhen. Einer bekommt in einem bestimmten Schuh Schmerzen, ein anderer nicht.

DerStandard: Trainieren Sie immer mit  derselben Prothese?

Popow: Ja, denn das Training erfordert eine gewisse Kontinuität. Ich muss genau wissen wie meine Prothese arbeitet. Da sind uns nichtamputierte Menschen voraus. Sie steuern ganz automatisch mit dem Kopf ihre Gliedmaßen. Eine Prothese ist ein Fremdkörper und es ist leichter die Bewegungsabläufe zu automatisieren, wenn es immer dieselbe ist.

derStandard.at: Können Sie als Prothesenträger alles tun was ein Nichtamputierter auch kann?

Popow: Als Prothesenträger ja, als Amputierter nein. Wenn ich meine Prothese nicht trage, kann ich natürlich keinen Tretroller fahren. Mit Prothese habe ich aber keine Einschränkungen.

derStandard.at: Vergessen Sie denn manchmal dass ihnen ein Bein fehlt?

Popow: Täglich. Wenn ich die Prothese morgens anziehe, dann ist das für mich so, als ob ich in einen Schuh schlüpfe. Tagsüber bin ich damit unterwegs und abends ziehe ich meinen Schuh wieder aus. Ich bin nicht behindert, ich fühle mich auch nicht so. (Regina Philipp, derStandard,at 4.9. 2008)