Wien - Der berühmte britische Bildungsexperte Sir Ken Robinson erzählte vor vier Jahren auf einer der exklusiven Ted-Konferenzen in Monterey/Kalifornien die Anekdote von einem Mädchen, das sich nur im Zeichenunterricht wirklich konzentrieren wollte. Ihr Lehrer fragt sie: "Was zeichnest du da?" Das Mädchen: "Ein Bild von Gott." Der Lehrer: "Aber keiner weiß, wie er aussieht." Die Antwort: "Gleich wird man's wissen."

Zu dem Symposium "Performing Memory", das vergangenen Freitag im Kunstraum Niederösterreich stattgefunden hat, passt diese Geschichte perfekt. Es ging darum, wie Wissen durch Kunst vermittelt wird, und dabei ausschließlich um Positionen von weiblichen Künstlern. Deren Behauptung: Durch das künstlerische Mittel der Performance ist ein anderer Zugang zur Darstellung von Geschichte möglich als durch die Wissenschaft und die Medien.

Die jungen Kuratorinnen Julia Kläring aus Wien und Virginie Bobin, Paris, ermöglichten einen so leichten wie intensiven Parcours aus Lectures und Performances, die das Dokumentieren von Live-Kunst aus der Performance Art und der zeitgenössischen Choreografie zum Thema hatten. Also das Dokumentieren eines einmaligen Ereignisses. Ein unmögliches Unterfangen, meinte die US-Theoriegröße Peggy Phelan in den 1990-ern. Geht nur, wenn die Performance noch einmal gemacht wird, sagt die Künstlerin Marina Abramovic heute.

Bei Performing Memory stellte sich heraus, dass das Dokument abhängig von seiner Beschaffenheit ein Eigenleben hat und so selbst ein Ereignis ist. Besonders deutlich zeigte das die aus Zagreb stammende Choreografin Barbara Matijevic in ihrem ironischen autobiografischen Solostück I am 1984 - übrigens ganz ohne Orwell.

Herstellung von Geschichte

Und die britische Künstlerin Alice Maude-Roxby machte es anhand von Françoise Massons Fotos über die Arbeit der Performancekünstlerin Gina Pane deutlich. Panes Arbeit "Self-Portrait(s)" aus dem Jahr 1973 wurde von Julia Kläring und Andrea Salzmann rekonstruiert. Die Wiener Performancespezialistin Carola Dertnig zauberte eine fiktive Aktionistin in den Raum, und die renommierte Tanztheoretikerin Bojana Cvejic brachte die einzelnen Statements auf den Punkt.

Fazit: Dokumentationen von geschichtlichen und künstlerischen Ereignissen stellen vor allem die jeweils zeitgenössische Auffassung über die dokumentierten Ereignisse dar. Wer das akzeptiert, hat die intuitive Weisheit des Mädchens in Sir Ken Robinsons Anekdote erreicht: Geschichte ist immer eine Angelegenheit ihrer Herstellung. (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2010)