Stockholm/Wien - Regieren ist in Schweden vergleichsweise einfach. Anders als die meisten Regierungen Europas sehen sich die Schweden keinem wachsenden Schuldenberg gegenüber. Nach dem Wahlgang gestern, Sonntag, hat die künftige Regierung darum relativ freie Hand für Reformen.
Seit dem radikalen Sanierungskurs des sozialdemokratischen Premier Göran Persson in den 1990er-Jahren haben sich die schwedischen Staatsschulden mehr als halbiert und lagen im Jahr 2009 bei lediglich 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Österreich liegt im Vergleich bei stolzen 80 Prozent Verschuldung.
Die bürgerliche Vier-Parteien-Koalition unter der Führung von Premier Fredrik Reinfeldt, die seit 2006 an der Macht ist, kürzte in den letzten vier Jahren dennoch einiges an sozialen Leistungen, um die Steuern senken zu können. So beschnitt sie Arbeitslosengeld und bezahlten Krankenstand. Diese Einschnitte seien für Schwedens Sozialmodell an sich bedrohlich, klagte Mona Sahlin, Parteiführerin der Sozialdemokraten.
Um den Vorwürfen zu entgegnen, geben sich die Politiker der "Moderaten Partei" Reinfeldts als zarte Liberalisierer und verpassten sich den Namen "Neue Arbeiterpartei", um sozialstaatsfreundliche Wähler nicht zu verprellen.
Eine Hauptaufgabe für die kommende Regierung wird das Schaffen von Jobs. Die hohe Arbeitslosigkeit von rund acht Prozent in dem nordischen Land gilt als wunder Punkt der ansonsten guten Wirtschaftsdaten. Besonders betroffen sind die Jungen. Die Hälfte der 500.000 Arbeitssuchenden sind unter 24 Jahre alt.
Wirtschaft wächst stark
Ökonomen hoffen auf eine Besserung der Lage durch das relativ stabile Wachstum in Schweden. Im Krisenjahr 2009 schrumpfte die Wirtschaft um fünf Prozent, doch heuer weisen die Statistiken für Schweden das stärkste Wachstum der OECD-Staaten aus. Im zweiten Quartal 2010 wuchs die Wirtschaft um 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zuversichtswerte der Konsumenten sind auf einem Zehn-Jahres-Höchststand, die Unternehmen erwarten heuer Rekordprofite.
Um eine Wiederwahl Reinfeldt zu verhindern, hatte die Sozialdemokratin im Jahr 2007 einen Pakt mit Grünen und Linkspartei geschmiedet, wie es ihnen die bürgerlichen Parteien zuvor vorgemacht hatten. Die "Allianz" der Konservativen besteht neben der großen "Moderaten Partei" des Premiers aus den konservativen Christdemokraten, der liberalen Volkspartei und der ländlichen Zentrumspartei.
Letztere hatte in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder sozialdemokratische Minderheitsregierungen parlamentarisch gestützt. Sie gilt als "grünste" Partei des bürgerlichen Lagers. Umgekehrt gelten die Grünen innerhalb des linken Lagers als den Bürgerlichen am nahesten.
Zwischen den Lagern stehen die "Schwedendemokraten", die vor allem mit demagogischen Kampagnen aufgefallen sind. Sie wollen die Zuwanderung nach Schweden aufs Möglichste beschränken. Beide Lager haben im Vorfeld jegliche Machtoption unter Einbeziehung der Schwedendemokraten strikt abgelehnt.
Schwedens König Carl XVI. Gustaf wird Anfang Oktober die erste Sitzung des neuen Parlaments eröffnen. (Alexander Fanta, DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2010)