Erwin Melchardt inmitten einiger seiner mehr als 4000 Exponate umfassenden Sammlung - den königlichen Ashanti-Hocker mit dem Weisheitsknoten (den nur ein Weiser zu lösen versteht) in Griffweite.

Foto: Robert Newald

Ein kalter Septemberabend, diesjährigen ähnlich: "Gestrickte englische Handschuhe müsste man haben. Wie gut wäre ein Überzieher mit Iltisfellen austapeziert." Die "wunderbaren braunen Mädchen" aber tragen trotz ungünstiger Wetterbedingungen nur den Lendenschurz, beschreibt Peter Altenberg in seiner Prosaskizze Ashantee. Rund 70 Afrikaner hatten zwischen Sommer und Herbst 1896 in einem privaten Wiener Tiergarten in eigens errichteten Hütten campiert und unterhielten die Besucher mit Tänzen und Kampfspielen.

Zwischen 1870 und 1940 waren solche Völkerschauen in Europa regelrechte Straßenfeger. Vordergründig bedienten sie Interesse am Exotischen, öfter noch den Voyeurismus des Publikums. Altenberg kritisierte diese Inszenierung vehement, die Ashanti würden nur als Objekte fungieren, die persönliche Individualität bliebe ihnen versagt. Repräsentativ für das koloniale Denken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Theoretisch könnte man das Foto von Altenberg an der Seite von Adolf Loos als Reminiszenz verstehen. Fast unscheinbar hängt die Schwarz-Weiß-Aufnahme von Trude Fleischmann im Schlafzimmer Erwin Melchardts. Rechts neben dem Fenster. Links davon steht eine Glasvitrine, in der sich Nackenstützen asiatischer und afrikanischer Herkunft reihen.

Faszination des Exotischen

Über dem Bett ein gewebtes Gemälde: Lebensbaum-Motiv, Südsumatra lauten die Koordinaten. Zwischendrin ein kleines Boot, das die Welt der Ahnen mit jener der Lebenden verbindet. Und dieses Seelenschiffmotiv ziert auch Erwin Melchardts neue Visitenkarte. Woher wir kommen, wohin wir gehen, so die Lesart

Im Falle seiner Biografie sind die bisherigen Stationen weitgehend bekannt. Die kurze Episode als Karikaturist (Express) und seine Kunstkritiker-Jahrzehnte (Kronen Zeitung). Zwischendurch war er in Katastrophengebieten und an Kriegsschauplätzen im Einsatz. Iran, Irak, Äthiopien, Sudan, Somalia, Bangladesch, zählt er auf, auch quer durch Bosnien mit einem Hilfstransporter oder in Afghanistan, in eine Burka gehüllt als Frau verkleidet.

Eine glückliche Fügung für den ehemaligen Völkerkunde-Studenten, die seine Faszination für außereuropäische Kulturen über mehr als vier Jahrzehnte nährte - und die große Altbauwohnung eines leidenschaftlichen Sammlers füllte, in einer Menge, die Unwissende verstört und vor der Insider wohl niederknien.

Mit beschnitzten Ahnenköpfen, Münzhauben aus dem vorderen Orient, nepalesischen Milchkrügen, unzähligen Zwillingspuppen (Ibeji), stapelweise Textilien, prämünzlichen Zahlungsmitteln, Musikinstrumenten, haufenweise Sitzmöbel, Dolchen, Speeren. Hier eine Harpunenspitze aus Feuerland, dort aus Hundezähnen gefertigte Ketten und ladenweise äthiopische Kreuze wie feinst gearbeiteter Schmuck.

Emufedern und Menschenhaar

Neben alte Türen mit abgenudelten Zapfen dazu auch Singuläres: Die Schuhe eines Zauberers, aus Emufedern und Menschenhaar gefertigt, um keine Spuren im Sand zu hinterlassen. Mannshohe Säulen der Nuristan aus dem Norden Afghanistans, für die er sich mit dem Zöllner am Flughafen auf die Kategorie Halbfertigprodukt einigte. Dazu rituelle Masken, die grundsätzlich über die Rück- bzw. Innenseite bewertet werden. Nur an den Abnützungen erkenne man, ob und wie viel sie tanzte. Mehr als 4000 Objekte insgesamt, irgendwann gezählt, weil diese Frage so nervte.

Zwischen dem allerersten, einem westafrikanischen Hocker der Senufo 1967, und dem vorläufig letzten Ankauf, einem seltenen vierköpfigen Ekoi Tanzaufsatz (Nigeria/Kamerun), am Donnerstag vergangener Woche in Paris hat der 66-Jährige damit auch ein beträchtliches Wissen für die außereuropäischen Kulturen erworben. Die anfängliche Faszination für das Exotische wich schnell dem Respekt vor dem feinsinnigen Gedankengut der Kulturen. Seit etwa acht Jahren vermittelt er dieses als Lektor an der Universität für angewandte Kunst.

Mitsamt seinen Erfahrungswerten als Sammler war er für Martin Böhm deshalb der Wunschkandidat zur Etablierung einer neuen Sparte im Dorotheum. Einige Bedenkzeit und die Prüfung zum gerichtlich beeideten Sachverständigen später, tritt Erwin Melchardt kommenden Montag seinen Dienst als Experte an. Was ihn dort künftig zwei Montage im Monat erwartet, weiß Melchardt nicht so genau.

Über das internationale Marktgeschehen ist er besser informiert, über die zunehmende Bedeutung, nicht nur in den klassischen Metropolen Paris, Brüssel und New York. Gerade Auktionsergebnisse belegen eindrücklich, dass sich Außereuropäisches dem gängigen Antiquitätenbegriff annähert. Mit siebenstelligen Auktionsrekorden und achtstelligen Umsätzen bei Sotheby's oder Christie's.

Eine konkrete Vorstellung von der gewünschten Ware, die 2011 erstmals im Dorotheum versteigert werden soll, hat er freilich schon. Selbstredend keine Flughafenprodukte, wie Touristen aufgeschwatzte Neuware im Fachjargon abschätzig genannt wird. Nein, aus der eigenen Sammlung zu versteigern ist Experten des Auktionshauses nicht gestattet. Stattdessen sollte das Angebot für die Premiere ein paar gute Exemplare aus Afrika, ein, zwei Highlights aus Ozeanien und einen Querschnitt guter Mittelklasse umfassen. Mit Material aus Polynesien oder aus einer Cook Expedition rechne er eher nicht, wiewohl in Österreich doch einiges noch unerkannt in Privatbesitz schlummert. Ein Vorfahre, der in der k.k. Monarchie als Handelsattaché Dienst tat, wäre da schon ein guter Anhaltspunkt. ( Olga Kronsteiner / DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.9.2010)