An der hochgotischen Kathedrale von Lyon muss wie bei den meisten gotischen Kirchenbauten Europas ständig etwas an ihrer Außenfassade erneuert werden. Die Ornamentik aus Sandstein, der (saure) Regen ...
Jetzt hat die Kathedrale einen neuen Wasserspeier. Das Mittelalter gestaltete diese architektonischen Elemente zur Ableitung des Regenwassers von der Außenseite der Kirchen meist als Fabeltiere oder als Dämonenfratzen, auch um die Abwehr des Bösen zu symbolisieren. Der neue Wasserspeier ist ein - leicht dämonenhaftes - Porträt des Baustellenleiters, der schon 30 Jahre an der Fassade werkt: Ahmed Benzizine heißt er und ist algerischer Muslim. An der Basis der Figur steht "Dieu est grand" und in arabischer Schrift "Allahu akbar", was beides "Gott ist groß" heißt.
Eine augenzwinkernde Hommage an den christlich-muslimischen Dialog in einer Stadt mit hohem Muslimenanteil, sagen die einen (u. a. der ausführende Steinmetz), ein Sakrileg die anderen. In einigen hundert Jahren wird man sich vielleicht fragen, wie die Figur hingekommen ist (so wie man sich fragt, wie Penis und Vulva an die Fassade des Wiener Stephansdoms - links und rechts vom Riesentor auf den sogenannten Blendsäulen - hingekommen sind). Wenn Präsident Sarkozy klug ist, wird er nicht auch noch die Abschaffung des Wasserspeiers anordnen. Aber irgendwie sichern wird man ihn wahrscheinlich wohl müssen. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 18.9.2010)