Ein Einwanderer in Södertälje vertreibt am Gemüsemarkt seine Waren. Viele Migranten haben hier Existenzen gegründet.

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Seit 15 Jahren sitzt der Eriträer im Wettcafé von Ronne. Seinen Namen will der joviale, dicke Mann nicht verraten. Vor der kleinen Spielhölle bittet er um Zigaretten, und erzählt lauthals, wie gut es ihm hier gefällt. Gearbeitet, sagt er, hat er hier aber noch nie. Dann bricht er mitten im Satz ab und geht zurück hinein. Eine weiteres Pferderennen hat begonnen.

Gleich neben dem Wettcafé liegt die Assyrische Kirche und ein Gemeindezentrum, in dem ältere, orientalische Herren Tee trinken und Backgammon spielen. Ronne ist ein Vorort der schwe- dischen Kleinstadt Södertälje. Knapp die Hälfte der rund 80.000 Einwohner sind Einwanderer, die meisten davon Christen aus dem Mittleren Osten. Nach dem Irak-krieg 2003 kamen allein nach Södertälje tausende Flüchtlinge, mehr als irgendwohin sonst in Europa.

"Der Irak ist heute kein gutes Land mehr für uns", sagt ein grauhaariger Gentlemen in Lederjacke, der vor der Kirche auf den Beginn des Gottesdienstes wartet. Es sei aber auch in Schweden nicht immer leicht, sagt er. Job hat er hier keinen. Das gilt für viele hier.

"Viele Irakis, die hierherkommen, sind sehr gebildet, haben akademische Titel. Aber es ist hart für Araber, in Schweden Arbeit zu finden", bestätigt Anders Lago, Bürgermeister von Södertälje.

Vor dreißig Jahren kamen die ersten verfolgten Christen aus dem Orient nach Schweden. Damals mussten in Södertälje einige Fabriken schließen, die Arbeiter zogen weg, viele Wohnungen standen leer. Arme Asylanten siedelten sich in Södertälje an. Die Stadt ist seither ein Anlaufpunkt für Neuankömmlinge, die meist bereits Verwandte hier haben.

Neid der Alteingesessenen

Viele Migranten haben sich hier eine Existenz aufgebaut, haben erfolgreiche Unternehmen. Der Fußballklub "Assyriska Södertälje", der es bis in Schwedens zweite Liga geschafft hat, ist Zeugnis für ihren Fleiß. Ihr Erfolg sorgt in der Stadt nicht nur für Freude.

"Die Einwanderer zerstören unsere Stadt", klagt die 20-jährige Anna, die gemeinsam mit ihrer Freundin die Blumenbeete auf dem Hauptplatz der Stadt pflegt. Die Stadt sei ihr fremd, sie fahre darum fast jedes Wochenende zu Freunden ins nahe Eskilstuna.

Die Zuwanderer sind in Södertälje längst auch politisch repräsentiert, viele Parteien plakatieren Gesichter orientalischer Kandidaten. Die meisten Migranten auf ihrer Liste haben die "Schwedendemokraten", eine Partei, die sich gegen Einwanderung richtet. "Nach uns soll Schluss sein", lautet die unausgesprochene Devise für ihr Engagement.

Die Schwedendemokraten könnten heuer den großen Durchbruch schaffen und ins Parlament einziehen. Ihre Wurzeln in rechtsextremen Bewegungen konnte die Partei nach einigen verbalen Ausfällen von Lokalpolitikern nur mühsam verbergen. Dennoch könnten sie bei unklaren Mehrheiten zwischen linker und rechter Wahlallianz (siehe Grafik) nach dem Votum sogar den Königsmacher spielen. Bereits Anfang der 1990er-Jahre stützte Premier Carl Bildt seine Minderheitsregierung auf die Unterstützung der Rechtspartei "Neue Demokratie".

Was ein Erfolg der Rechtsaußen für Södertälje bedeuten könnte, mag Bürgermeister Lago, ein Sozialdemokrat, nicht einschätzen. "Wissen Sie, Einwanderung gibt es hier schon so lange", sagt er, die "ethnischen Schweden" wären damit vertraut. In ein paar Jahren, so glaubt er, werde sich die Aufregung legen. "Klein Bagdad" in Södertälje werde dann ein ganz normaler Ort in Schweden. (Alexander Fanta aus Södertälje/DER STANDARD, Printausgabe, 18.9.2010)