Nikolaus Habjan mit Handpuppe vor Gorreggios "Die Entführung des Ganymed".

Foto: Bernasconi

Wien - Schriftlich auf ein Werk der bildenden Kunst Bezug zu nehmen, das machen Kunstkritiker und Wissenschafter, und, wenn sie den Drang verspüren oder sie ein entsprechender Auftrag ereilt, auch Schriftsteller. Das literarische Motiv der Bildbeschreibung hat in der jüngeren österreichischen Literatur etwa Thomas Bernhard in seinem Roman Alte Meister bemüht. Darin besucht der Musikphilosoph Reger regelmäßig das Kunsthistorische Museum, um im Angesicht von Tintorettos Gemälde des Weißbärtigen Mannes seine Reflexionen über Österreich anzustellen.

Oder: Peter Handkes Betrachtungen zu Paul Cézannes gemalten Variationen des Gebirgszug Sainte-Victoire. Aus der 1980 erschienenen Erzählung Die Lehre der Sainte-Victoire stammt auch ein Text Handkes, der neben fünfzehn weiteren meist österreichischer Autoren nun im Kunsthistorischen Museum "performt" wurde. Im Rahmen des spartenverbindenden Projekts Ganymed Boarding der Gruppe "Wenn es so weit ist" gaben Werke der Gemäldegalerie Schreibimpulse für Franz Schuh, Gerhard Roth, Angelika Reitzer, Gerhild Steinbuch, Andrea Winkler oder Elfriede Jelinek. Letztere bezog sich auf Diego Velázques' Infantinnen allerdings nur indirekt - über Jürgen Messensees Bearbeitungen.

Die literarischen Formen waren vielfältig, von märchenhaften Fabelfantasien wie etwa in Juli Zehs Esel-Etüde zu Sánchez Coellos Porträt des Infant Don Carlos bis hin zu essayistischen (Selbst-)Reflexionen der Betrachterposition wie im Fall von Franz Schuh, der sich eingehend mit dem Renaissance-Bildnis Der Humanist Jacob Ziegler von Wolf Huber konfrontierte: Mit der Offenheit einer Reiseleiterin nähert sich Erni Mangold im wallenden Goldkleid dem Bild; mit herzhafter Entschlossenheit versucht sie, dem Geheimnis des abgebildeten Gesichtes auf die Spur zu kommen. Eine höchst gastfreundliche, sachkundige "Station" in diesem von Produzent Peter Wolf und Regisseurin Jacqueline Kornmüller initiierten Spektakel.

Die güldene Materialität der Gemälde setzt sich an den Körpern der Schauspieler und Performer fort. Sie tragen goldene Schuhe oder goldene Unterwäsche. Gleiches gilt für die im kunsthistorischen Kontext kaum noch Staunen machende, auf dem realen Museumsparkettboden aber doch irritierende Nacktheit der Darsteller. Manchmal war sie durch Pelze verdeckt, ebenso Zitate aus den historischen Gemälden.

Vor Velázquez' Bildnissen der Infantinnen gibt Anne Bennent der Gefangenheit der Prinzessinnen und auch Jelineks witziger Reifrock-Beschreibung als "heuwagenartig schwankende Figurenmaschine" durch ihren eigenen, angespannten Körper Ausdruck, um sich später von diesem Gestus zu befreien, sprich: ihre eigene Kleidung abzulegen. Eine Variation dazu gibt Doris Uhlich, die durch ihre vibrierenden Bewegungen eine ganz andere Modulation des Textes erreicht und somit auch andere Zusammenhänge generiert. Perfekt für Jelineks oft selbstentlarvende Prosaform.

Weniger physisch, dafür voller Imaginationskraft war die Darstellung Joachim Bissmeiers, der via Walter Kappachers Spiegelbild-Text mit Lukas Furtenagels Der Maler Hans Burgkmair und seine Frau Anna Kontakt aufnahm. Paulus Hochgatterer widmete sich der Entführung des Ganymed, einem Bild Correggios, in dem Zeus in Adlergestalt den hübschen Buben in die Lüfte zieht: hier zu sehen als Kindesentführung in einer AUA-Kabine mit Handpuppenspiel. Literarische Bild-Assoziationen in Bildnähe zu performen - es macht Sinn und ist im besten Sinn erweiterte Kunstbetrachtung. (Margarete Affenzeller/ DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2010)