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Frankfurt/Main - In unzähligen Wohnzimmern schmücken bis heute poppig-bunte Regenbogenfarben die Bücherwand. In den knalligen Umschlägen steckt geballtes Wissen: Die Taschenbücher der edition suhrkamp bieten ihren Lesern seit 40 Jahren intellektuelles Rüstzeug. Am 2. Mai 1963 startete die Taschenbuchreihe des Frankfurter Suhrkamp Verlags mit 20 Bänden ihre Erfolgstour in die Wohnzimmer, Universitäten und Studentenbuden. Seitdem begleitet die edition suhrkamp die geistigen Ströme der Zeit. Bis heute sind mehr als 2.300 Bände erschienen, die rund 41 Millionen Mal über die Ladentische gingen. "Entdeckerische Funktion"

Die Reihe sollte nach dem Willen des im Herbst 2002 gestorbenen Suhrkamp-Chefs Siegfried Unseld "entdeckerische Funktion" haben. "Sie stößt in neue Bereiche vor, sammelt neue Talente und gibt auch neuen literarischen Formen Raum", kündigte der Verlag an. Zunächst speiste sie sich jedoch relativ wenig aus Erstausgaben, sondern eher aus dem Suhrkamp-Hauptprogramm.

Die Bände wollten Anfang der 60er Jahre dem gestiegenen Interesse der Leser an zeitgenössischer Literatur Rechnung tragen. Dabei sollten die Bücher erschwinglich sein, zählten doch Studenten zu den potenziellen Käufern.

Zum Start erschienen 20 Werke aus Literatur und Wissenschaften, darunter Bertolt Brechts "Leben des Galilei", Samuel Becketts "Warten auf Godot", "Eingriffe" von Theodor W. Adorno, die "Tübinger Einleitung in die Philosophie" von Ernst Bloch und ein Gedichtband von Nelly Sachs. Danach folgten monatlich vier Bände, später auch Werkausgaben etwa von Marcel Proust, Hermann Hesse oder Max Frisch.

"Ausverkauf"

Die neue Reihe war wenige Jahre nach dem Tod des Verlagsgründers Peter Suhrkamp das erste größere verlegerische Unternehmen, das Unseld selbst verantwortete. Er setzte die Edition gegen den Rat seiner Vertrauten durch. Zweifel äußerten etwa die Autoren Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson. Enzensberger hielt die Reihe für überdimensioniert und sah einen "einzigen großen Ausverkauf" kommen. Johnson befürchtete, die Reihe werde nur der Verwertung bewährter Suhrkamp-Titel dienen. Max Frisch, der zu den ersten Autoren zählte, befürchtete eine Entwertung des Namens: "Suhrkamp in Leinen, Suhrkamp in Dosen, Suhrkamp als Brotaufstrich, (...) der Name wird grassieren, je weniger er heißt."

Doch die wirtschaftlich riskante Reihe wurde ein großer Erfolg. "Die "edition suhrkamp" war damals bahnbrechend", urteilt der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki heute. "Es war zum ersten Mal eine Taschenbuchreihe mit wirklichem intellektuellen, literarischen Niveau."

Die Edition profitierte immens von den Studentenprotesten kurz nach dem Start. Die 68er-Generation speiste ihre intellektuellen Debatten in diesen Jahren wesentlich aus den Suhrkamp-Büchern. Unter den Autoren waren 1968: Brecht, Adorno, Bloch, Marcuse, Wittgenstein, Habermas. Ihre Schwerpunkte: Gesellschaftsanalyse, Dritte Welt, Hochschulpolitik, Wissenschaftstheorie. "Vielleicht hat die "edition suhrkamp" mit dazu beigetragen, dass es zu '68 kam", meint Reich-Ranicki zur Wechselwirkung zwischen Edition und Epoche. "Mit der 'Suhrkamp-Kultur' entdeckten wir erst die spezifische Mischung von Kritischer Theorie, Psychoanalyse und Literatur, mit der wir uns bewaffnen wollten", sagt der heutige Stroemfeld-Verleger KD Wolff, damals Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes.

Ende der 70er Jahre, nach dem Ende der Studentenrevolten, verlor auch die Edition an Bedeutung. Die Verkaufszahlen sanken drastisch. Unseld wagte einen Neustart mit weniger Soziologie und mehr Literatur als "Avantgarde" und "Speerspitze" bei Suhrkamp. In der Literatur gab es fortan nur noch Erstausgaben und neben deutschen mehr ausländische Autoren.

"Suchbewegung

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" befand kürzlich kritisch, die "Suchbewegung" der Edition scheine zumindest im theoretischen Teil "ins Stocken geraten zu sein". Nach Ansicht von Reich-Ranicki ist die Edition aber "bis heute die vornehmste Taschenbuchreihe". "Literatur nicht als Dekoration, sondern als ein zu nutzender Lebenswert", lautete bei der Gründung vor 40 Jahren das Ziel der Reihe. Sie hat dennoch für manchen Bücherfreund durchaus zur Dekoration getaugt: Nicht wenige Sammler haben die Regenbogen-Bücher im Regal bis heute nach Farben statt nach Inhalten sortiert.(APA)