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Autorin Kathrin Röggla
Foto: APA/SCHLAGER Roland

Berlin - Wie in der Folge des 11. September private und öffentliche Kommunikation miteinander kollidieren, das kann eine zündende Idee fürs Theater sein. Betroffenheitsgerede trifft auf generelles Misstrauen gegenüber Verlautbarungen, Kommentaren, Analysen und Politiker-Prophezeiungen, die nur dank ihrer medialen Verstärkung in die Welt kommen.

Die aus Salzburg stammende, seit über zehn Jahren in Berlin lebende Autorin Kathrin Röggla hat den Katastrophentag 9/11 in New York selbst erlebt und genau hingehört, wie Gefühle und Stimmungen in den Medien aufgegriffen und praktisch verstärkt, verzerrt und verschleiert wieder zurückgegeben werden: tief in den Einzelnen hinein, mit beunruhigender Beeinflussung. Für ihr erstes Stück fake reports, das vergangenen Herbst im Volkstheater uraufgeführt wurde, griff sie auf das Mittel zurück, sechs Figuren ihre Haltungen und Handlungen in der dritten Person schildern zu lassen, wodurch mit dem Gedachten und Gesagten ganze Konjunktivkaskaden hervorstürzen.

Sechs durchnummerierte Figuren, unterteilt in Präsenzmaschinen, Medien- und Mythenmaschinen. In dieser abstrakten Anlage ist das dem so genannten Diskurstheater nicht unverwandt und deshalb für eine szenische Umsetzung nicht ganz einfach.

Aktualisierung

Für die deutsche Erstaufführung in den Sophiensälen in Berlin hat Röggla das Stück überarbeitet und mit neuem Titel vor allem aktualisiert und auf deutsche Politstimmungen wie die eindeutige, aber dann doch beargwöhnte Antikriegshaltung zugespitzt.

Die "50 mal besseren amerikaner", das seien die Deutschen, 50-mal schneller, fleißiger und flexibler, zumindest haben die es immer sein wollen, sagt Nummer 3. "50 mal so oft wie die amerikaner habe man telefonanrufe abhören wollen und habe es geschafft."

Keine Frage, in Rögglas Sprachsound ist das auf deutschen Bühnen seit Bernhard gern gehörte österreichische Timbre der großen indirekten Ansprache, Bernhards Übertreibungen und Verallgemeinerungen inbegriffen. Und dieser Sound trägt zu der Idee bei, dass nicht mehr ganz klar ist, wer oder was durch wen da spricht - für Rögglas Stück ganz wesentlich.

Die Berliner Fassung, die in den Sophiensälen in Koproduktion mit dem Dresdner TIF und dem Theaterhaus Jena Premiere hatte, kommt mit vier DarstellerInnen aus. Silvina Buchbauer, Wiebke Mauss, Franziska Olm und Philipp Stengele stellen eher angedeutete Typen und keine Charaktere dar, SprechspielerInnen halt.

Die junge Schweizer Regisseurin Barbara Weber lässt sie zu Beginn in Pappkartonhäuschen auf die Bühne kommen, und vorn qualmen ein Paar Cowboystiefel als Symbol für 9/11. Das dieserart Off-Theater-typisch Verspielte durchzieht die knapp über sechzigminütige Inszenierung und umgibt den Text, ohne ihn groß zu illustrieren oder anderweitig tief zu deuten.

Die Papphäuschen (Bühne: Tjorg Beer) können auch zu Pfadfinderzelten gefaltet werden, im Hintergrund gibt es eine Art bewegliche Wäscheleine, an der Fotos von Politikern (Blair und Bush) neben Bildern von Fastfood (Hamburger) wie auf einem kleinen Skilift herumfahren. Eine szenische Ausmalung als Handlung ist das nicht, aber die würde dem Sprechstück wohl auch gar nicht gut bekommen.

Die Frau, die ihre eigene journalistische Professionalität als vielleicht unangemessen und doch zwangsläufig funktional bei einem während der Katastrophe fortgesetzten Interview erinnert, bekommt von ihren Mitspielern Mikrofone vorgehalten, worauf sich ihr Medienbewusstsein noch einmal sichtlich steigert - zur Karikatur mit phallischem Monstrum als Requisit.

Das ist deutlich und wird doch zur szenischen Verdeutlichung eigentlich nicht gebraucht. Rögglas Text sollte als reines Sprechstück aufgeführt werden, er enthält als solches bereits alles, was die Bühne entweder nur doppelt oder eben als nicht so wesentlich dazugibt. Ausgenommen vielleicht, wie bei Webers stärkeren Einfällen, die Momente, in denen die Spieler tatsächlich auf eine mediale Vermittlung per Video treffen: sinnfällig wird die Gegenmeinung eines verzerrten Gesichts auf einem Monitor angegangen, mit einem Stiftmarker auf dem Bildschirm.

Insgesamt bleibt der Eindruck, dass dieses keinesfalls zu unterschätzende Debütstück, dessen Überarbeitung einige schnell alternde Passagen wie die Debatten um bestimmte deutsche Panzertypen als Kürzungsvorschläge enthält, eine dritte Chance bekommen sollte: als Sprechoper mit darauf eingestellten SchauspielerInnen. (Thomas Irmer, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 28.4.2003)