Für Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister ist die Krise noch lange nicht ausgestanden.

Foto: derStandard.at/rasch

Wien - Die Wirtschaftskrise ist noch lange nicht überwunden, das zweite Quartal 2010 war nur ein "Sonderfall", weil die Konjunkturprogramme in Europa noch greifen und die Probleme in den USA und China sich noch nicht auswirkten, sagte der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister am Mittwoch im Klub der Wirtschaftspublizisten: "Ich glaube, dass wir mitten in der Krise sind."

Die Ungleichgewichte im Wirtschaftssystem seien hingegen nicht behoben. Schulmeister warnt davor, dass alle gleichzeitig sparen wollen: Die privaten Haushalte, die Unternehmen, die sich bei Investitionen zurückhalten und jetzt auch der Staat, der seine Schulden abbauen will. Das könne aber nicht funktionieren, da die Summe der Einsparungen und Neuverschuldung immer Null sein müsse. Wenn der Staat sparen wolle, müsse er demnach dafür sorgen, dass jemand anderer mehr ausgibt, als er einnimmt.

Hier könne das Ausland einspringen, wenn ein Exportüberschuss dazu führt, dass das im Inland "gesparte" Vermögen von jemandem übernommen wird. Das sei aber keine Lösung, wenn plötzlich alle EU-Staaten anfangen zu sparen. Ostasien alleine könne nicht Europa und die USA auffangen. Außerdem ergebe sich schon jetzt eine paradoxe Situation: Griechenland werde von Exportkaisern wie Deutschland und Österreich dafür kritisiert, dass es eine negative Handelsbilanz habe. Dabei seiend diese Staaten davon abhängig, dass andere Länder Defizite in ihren Leistungsbilanzen erwirtschaften.

Unternehmen sollen investieren

Nur Unternehmen seien geeignet, im Inland Ausgleich zu schaffen, argumentiert Schulmeister. Wenn sie investieren, geben sie mehr aus als sie einnehmen und können so das Gesparte von Haushalten und Staat aufsaugen. Der Staat müsse daher Bedingungen schaffen, unter denen die Unternehmen investieren. In der Praxis verweist der Wirtschaftsforscher auf Programme wie die thermische Sanierung. Die staatliche Spritze von 100 Mio. Euro habe 500 Mio. Euro an Investitionen und einen Beitrag zur Wirtschaftsleistung von 700 Mio. Euro ausgelöst, damit habe der Staat deutlich mehr eingenommen als ausgegeben. Beispielsweise wäre es ideal, nun generalstabsmäßig alle dafür geeigneten Gebäude in Österreich thermisch zu sanieren. Das ergäbe jährliche Investitionen von 5 bis 6 Mrd. Euro und würde 100.000 Jahresarbeitsplätze schaffen. "Nur ganz ohne Staat geht das nicht", so Schulmeister, der zwar den Schuldenabbau des Staates befürwortet, dabei aber stärker auf höhere Einnahmen und weniger auf sinkende Ausgaben setzen will und auch eine höhere Besteuerung der Vermögenden befürwortet.

Geringes Wachstum der Realwirtschaft

Wirtschaftswissenschaftlich gesprochen müsse der Zinssatz niedriger sein als das Wirtschaftswachstum. Denn nur dann lohnten sich Investitionen in die Realwirtschaft mehr als Geldanlagen in der Finanzwirtschaft. Die Hochzinspolitik der Notenbanken 1979/1980 sei der Wendepunkt gewesen, seither liege der Zinssatz praktisch durchgehend über der Wachstumsrate, und seither wandere Geld in die Finanzwirtschaft ab, das unternehmerische Denken sei seither ins Hintertreffen geraten. "Vielleicht sind ja Notenbanken beteiligt am geringen Wachstum der Realwirtschaft", formuliert Schulmeister vorsichtig.

Schulmeister, der zwar im Wifo arbeitet aber im Klub der Wirtschaftspublizisten ausdrücklich seine eigene Position vertritt, zweifelt daran, dass Unternehmen ohne weitere Impulse in den nächsten ein bis zwei Jahren massiv investieren werden.

"Problem sind die Finanzalchimisten"

"Mein Problem sind die Finanzalchimisten", sagt Schulmeister. Das seien jene Finanzexperten, die neue komplizierte Produkte erfinden und gleich zu ihrem eigenen Vorteil in Milliardenbeträgen auf den Markt bringen.

Zuletzt seien dies Anfang 2007 Produkte gewesen, mit denen man auf Verluste bestimmter Wertpapiere spekulieren konnte. Diese "unproduktive" Tätigkeit werde viel zu viel honoriert, kritisiert Schulmeister, der als verantwortliche Institutionen auf die US-Investmentbank Goldmann Sachs und die Deutsche Bank hinwies.

Schulmeister ist für eine Finanztransaktionssteuer. Diese würde etwa das sogenannte "high-frequency-trading" in den USA eindämmen: hier geht es um vollautomatisierte Aufträge an die Börsen, die von Computern abgewickelt werden. Die Margen lägen bei "hundertstel Cent", aufgrund der hohen Beträge und Häufigkeit der Transaktionen gehe es aber doch um viel Geld.

Zuletzt hätten sich Banken dazu verpflichtet gefühlt, ihre Computer für die Abwicklung solcher Geschäfte näher an die Börsen heranzubringen. Denn pro 100 Meilen "verliere" man eine Millisekunde, bei 2.000 Meilen Entfernung zur Börse wären dies 20 Millisekunden und das könne schon über Erfolg oder Misserfolg einer Transaktion entscheiden.

Computer im Einsatz

70 Prozent der Börsentransaktionen werden von Computern abgewickelt - "eine verrückte Welt", schüttelt Schulmeister den Kopf. Die Krise habe auch die Bedeutung des Sektors nicht geschmälert: die Finanztransaktionen sind im Vergleich zu 2007 um 30 Prozent gestiegen.

Die Globalisierung ist unaufhaltbar, sie braucht aber einen neuen Rahmen, sagt Schulmeister. So sei eine supranationale Währung dringend nötig. Deren Einführung sei für die nächsten Jahre allerdings realistischerweise nicht zu erwarten, räumt er ein.

Schulmeister kritisiert die Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom Dollar. Wenn der Dollar falle, gehe der Ölpreis hinauf. Wenn die USA für ihre Binnenwirtschaft höhere Zinsen brauchen, gehen Entwicklungsländer Pleite, die ihre Schulden in Dollar halten.(APA)