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Gedenken an Mordopfer Hrant Dink vor dem Verlagshaus der Zeitung "Agos" in Istanbul.

Foto: Reuters

So entschied der Europäische Menschengerichtshof.

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Erst zum Ende hin hat die türkische Staatsspitze versucht, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzuwehren. Bei der Familie von Hrant Dink, dem ermordeten türkisch-armenischen Publizisten, entschuldigte sie sich für Versäumnisse der Polizei und der Sicherheitsdienste und bot einen Vergleich an. Zu spät, zu wenig, sagten die Hinterbliebenen. Nun haben die Straßburger Richter entschieden: 100. 000 Euro Schmerzensgeld muss die Türkei Dinks Familie zahlen. Die Polizei wusste von den Mordplänen gegen den renommierten Herausgeber der Wochenzeitung Agos, habe es aber unterlassen, sein Leben zu schützen, heißt es in dem am Dienstag verkündeten Urteilsspruch.

Dink war am 19. Jänner 2007 vor dem Verlagshaus seiner Zeitung in Istanbul erschossen worden. Der Täter, der damals 16-jährige Ogün Samast, zeigte keine Reue. Er habe gelesen, Dink habe geschrieben, das Blut der Türken sei giftig, gab der junge Rechtsextremist damals als Begründung an. Nach der Festnahme zirkulierten Bilder, die Samast mit lachenden Polizisten und einer türkischen Fahne zeigten. Dinks Ermordung gilt bis heute als nicht wirklich aufgeklärt. Die türkische Justiz habe keine umfassenden Ermittlungen durchgeführt, kritisierte nun auch der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Spätestens nachdem Dink 2005 vom türkischen Staat wegen "Beleidigung des Türkentums" angeklagt und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, hätte den Behörden klar sein müssen, dass der Publizist besonders gefährdet gewesen sei.

Dink stand vor allem wegen seiner Äußerungen zum Massenmord an den Armeniern 1915 mehrfach vor Gericht. Seine Ermordung erschütterte den türkischen Staat. Bis heute kommt es am Jahrestag von Dinks Tod zu Demonstrationen von Türken, die mit der Losung "Wir sind alle Armenier" die Minderheitenpolitik des türkischen Staats für die Bluttat verantwortlich machen.

Der Plan zur Ermordung des Publizisten war offenbar von nationalistischen Zirkeln in der Schwarzmeerstadt Trabzon ausgearbeitet worden. Im Zuge der Ermittlungen um den angeblichen Geheimbund Ergenekon werden mittlerweile vor Gericht Verbindungen zum türkischen Militär untersucht. Angebliche Verschwörungspläne der Armee waren aufgetaucht, die zeigen sollen, dass die islamisch-konservative Regierung von Premierminister Recep Tayyip Erdogan unter anderem durch die Ermordung öffentlich bekannter Personen wie Dink destabilisiert werden sollte.

Dink hatte selbst beim Straßburger Gerichtshof Klage gegen die Türkei eingereicht, nachdem seine Berufung im Verfahren wegen "Beleidigung des Türkentums" abgewiesen worden war. Das Urteil erlebte er nicht mehr. Nach der Ermordung des 52-Jährigen reichten die Anwälte seiner Familie eine weitere Klage ein. (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2010)