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Nachdem der Kachelmann-Prozess nur zwei Minuten nach der Eröffnung letzte Woche unterbrochen wurde, geht die Verhandlung am Montag weiter. Alice Schwarzer berichtet darüber nicht nur für EMMA, sondern auch für die BILD-Zeitung.

Foto: APA/dapd/Thomas Lohnes

Wien - Selten hat ein Prozess so polarisiert wie die Verhandlung gegen den deutschen TV-Moderator Jörg Kachelmann, dem seine Exfreundin vorwirft, sie mit einem Messer bedroht und vergewaltigt zu haben. In einem APA-Interview spricht Feministin und EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer, die den Prozess ausgerechnet für die deutsche Boulevardzeitung BILD beobachtet, darüber, warum der "Fall Kachelmann" die Wellen so hoch gehen lässt. Und ob ein etwaiger Freispruch mehr als nur ein einfaches Urteil wäre.

Der "Fall Kachelmann" ist in der Zwischenzeit auch in Österreich ein großes Thema geworden. Warum denken Sie, ist dieser Prozess so interessant für die Menschen? Den Moderator hat zumindest in Österreich vor der Verhandlung kaum jemand gekannt und es gibt auch spektakulärere "Sex-Geschichten". Kann es sein, dass dieser Fall auch einen Wandel in der öffentlichen Meinung widerspiegelt und eine Frau nicht mehr automatisch den Status eines "Opfers" hat?

Schwarzer: Der Fall Kachelmann weist weit über den eigentlichen Prozess hinaus. Eine seiner vielen gleichzeitigen Ex-Freundinnen - denen er allen die Ehe versprochen hatte - beschuldigt ihn, sie vergewaltigt zu haben, nachdem sie ihn zur Rede gestellt hat. Er bestreitet das. Es ist abzuwarten, ob das Gericht klären kann, was wirklich in der Tatnacht geschah. In der öffentlichen Debatte des Falls aber geht es längst um viel mehr: Es geht grundsätzlich darum, ob eine Frau, die einen Mann wegen Vergewaltigung anzeigt, a priori eine vermutliche Lügnerin ist - oder ob sie ernst genommen werden muss. Wir wissen heute, dass nur jede zwölfte Vergewaltigung überhaupt angezeigt wird - und es nur bei jeder siebenten Anzeige zu einer Verurteilung des Täters kommt. Die Vergewaltigung ist also de facto ein fast strafloses Verbrechen in Deutschland.

Apropos Opfer: Von Österreich aus gesehen, ist es ein wenig sonderbar zu beobachten, wie sehr die Berichterstattung in Deutschland polarisiert. Medien sind teilweise klar auf der Seite von Kachelmann, obwohl er ja - selbst wenn die Vorwürfe gegen ihn nicht stimmen sollten - zumindest seine Freundinnen ziemlich schäbig behandelt haben soll. Warum denken Sie ist es das so?

Schwarzer: Ja, das finde ich auch bemerkenswert, wie viele Journalisten, und in dem Fall vor allem Journalistinnen, schon vor der Verhandlung wissen, dass Kachelmann auf jeden Fall unschuldig ist und dass die Ex-Freundin lügt. Führend sind bei dieser Diffamationskampagne des mutmaßlichen Opfers zwei Journalistinnen von "Zeit" und "Spiegel", also meinungsbildenden, ernstzunehmenden Blättern. Das hat die öffentliche Meinung stark beeinflusst - und droht, auch das Gericht zu beeinflussen. Darum habe ich mich entschlossen, über den Fall Kachelmann nicht nur in EMMA, sondern auch in Bild zu berichten.

Ein sehr hässlicher Aspekt des Falles ist, dass offenbar von Kachelmann-Anhängern inzwischen der Name und sogar die Anschrift der Frau, die ihn angezeigt hat, im Internet veröffentlicht worden ist. Denken Sie, dass diese Umkehr von Täter und Opfer - bevor es überhaupt ein entsprechendes Urteil gibt - künftige Opfer von Gewalt vor einer Anzeige zurückschrecken lassen könnte?

Schwarzer: Die 37-jährige Radiomoderatorin aus Schwetzingen ist Opfer einer regelrechten Hetzjagd. Im Internet wurde nicht nur ein Foto von ihr veröffentlicht, sondern auch ihr Name, ihre Adresse, eine Ansicht ihres Wohnhauses, und sogar ihr Autokennzeichen. Was einer Aufforderung zum Tanz gleichkommt. Möglich ist diese enthemmte Menschenjagd im Internet jedoch nur, weil das mutmaßliche Opfer auch in seriösen Medien als rachsüchtige Lügnerin diskriminiert wird. Und das ohne jeden faktischen Anhalt. Es steht weiterhin Aussage gegen Aussage. Diese Medien haben ein Klima geschaffen, in dem die Frau quasi vogelfrei ist.

Rein theoretisch, Kachelmann würde freigesprochen werden, wäre das mehr als ein Gerichtsurteil? Könnte es sein, dass man Opfern gerade von Gewaltdelikten in einer Beziehung künftig weniger glauben wird? Und wäre das auch ein Rückschritt in Ihrem Kampf?

Schwarzer: Bei dem Prozess gegen Kachelmann kann es natürlich nur um die Frage gehen, ob er persönlich schuldig ist. Und man kann nur hoffen, dass die Frage faktisch geklärt werden kann. Denn ein Freispruch "im Zweifel für den Angeklagten" wäre nicht nur für Kachelmann fatal, sondern auch für die Ex-Freundin. Schon jetzt melden die Notrufe in Deutschland, dass die Opfer sexueller Gewalt stark entmutigt sind und die Anzeigen zurückgehen.

Sie persönlich haben bisher eigentlich vor allem die Berichterstattung kritisiert, die Causa selbst aber nur zurückhaltend kommentiert. Wieso sind Sie eigentlich nicht klarer auf der Seite der Klägerin?

Schwarzer: Ich weiß bis jetzt so wenig wie alle anderen, ob die Tat so stattgefunden hat, wie die Klägerin es behauptet. Aber ich weiß, dass ihre Klage ernstzunehmen ist. Sie ist eine junge Frau mit untadeligem Ruf und wacher Intelligenz. Und alles, was sie bisher zur Tat gesagt hat, hört sich glaubwürdig an. Meine Haltung ist also zur Zeit: Ich nehme die Klägerin so ernst wie den Angeklagten. Wir werden sehen, wie es weitergeht. (APA)