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Wählerinnen und Wähler stimmten mehrheitlich für die Reform.

Foto: EPA/TOLGA BOZOGLU

Für Kemal Kilicdaroglu fing der Tag schon einmal schlecht an: Der Chef der größten türkischen Oppositionspartei hat am Sonntag nicht seine Stimme beim Verfassungsreferendum abgeben können, weil er vergessen hatte, sich an seinem neuen Wohnort in Istanbul ins Wählerregister einzutragen - im Gegensatz zu seiner Frau Selvi.

Die Panne nahm den großen Sieg von Premierminister Tayyip Erdogan und der Regierungspartei AKP vorweg. 58 Prozent Ja-Stimmen meldeten die türkischen Nachrichtensender am Sonntagabend bei fast vollständiger Auszählung. Die Änderung der Verfassung, für die Erdogan in den vergangenen Wochen bei täglichen Kundgebungen im ganzen Land geworben hatte, ist damit beschlossen.

Überraschung in der AKP

Selbst innerhalb der AKP hatten nur wenige einen so deutlichen Vorsprung erwartet. Die islamisch-konservative Regierungspartei hatte bei den Parlamentswahlen 2007 mit 46,7 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis eingefahren. Doch selbst wenn alle AKP-Wähler von damals nun für die strittige Verfassungsänderung stimmten, hätte dies noch nicht für einen Sieg gereicht. Erdogan musste deshalb neue Wählerschichten erreichen. 55 Prozent galten als Ziel, 51 Prozent sagten die Umfragen in den letzten Tagen vor der Abstimmung voraus. Politische Kommentatoren meinten am Abend deshalb, das Ausmaß dieses Sieges stärke die Hand des Premiers im Land mit Blick auf die Parlamentswahlen 2011 und verbessere die Position der Türkei in den laufenden EU-Beitrittsverhandlungen.

Unterstützung aus Brüssel

Tatsächlich hatte die EU-Kommission das vorgelegte Paket von 26 Änderungen der Verfassung als positiven Schritt zu einer liberalen Demokratie in der Türkei unterstützt, sehr zum Verdruss der zeitweise sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei CHP von Kemal Kilicdaroglu. Dieser war ebenso wie die rechtsextreme MHP und die kleinen, nicht im Parlament vertretenen, links stehenden Parteien gegen die Verfassungsänderung ins Feld gezogen.

Das Argument der Opposition: Die Verfassungsänderung, insbesondere die geplante Vergrößerung der Zahl der Höchstrichter und deren Benennung durch das Parlament, vergrößere nur die Macht der AKP mit ihrer angeblich islamistischen Agenda. Im Südosten des Landes folgten die Kurden mit bis zu 70 Prozent dem Aufruf der Kurden-Partei BDP, die Stimmabgabe zu boykottieren. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, Printausgabe, 13.9.2010)