Was ist - woran erkennt man - und wozu brauchen wir eine Demokratie? Man redet gern utopisch von der „Identität von Herrschern und Beherrschten". Nüchterner ist die Definition, die Art. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) liefert: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus". Damit wird gefordert, dass zwischen der Erzeugung der Gesetze, mit denen Politik verwirklicht wird, und dem Willen des Volkes ein kausaler Zusammenhang besteht. Aber auch das ist utopisch. Denn das Volk hat keinen Willen, wollen können nur Individuen und die wollen nie alle das Gleiche. Also benötigt Demokratie ein Verfahren, in dem demokratisch, also durch sachliche Debatte und anschließende Abstimmung entschieden wird, welche Politik sich durchsetzen soll. Im Idealfall ist das die Volksabstimmung. Weil alle Meinungen in einem solchen Verfahren formal die gleichen Chancen haben, ist es für die, die in der Abstimmung unterliegen leichter erträglich, sich nicht durchgesetzt zu haben. Wenn Demokratie gelingt, läuft das etwa so wie im Fußball: die Mannschaften kämpfen hart aber fair um den Sieg und verlassen nach dem Match als Freunde dass Feld.

Zum demokratischen Verfahren gehört nicht nur die Debatte, sondern auch die Entscheidung. Wittern Teilnehmer, dass sie unterliegen werden, so ist für sie die Versuchung groß, endlose Reden zu halten, um die Abstimmung, den Beschluss zu verhindern. Deshalb kommt keine funktionierende Demokratie ohne Spielregeln aus, die eine gerechte Verteilung und Begrenzung der Redezeit vorsehen und sicherstellen, dass Entscheidungen auch von jenen akzeptiert werden, die sich in der Abstimmung nicht durchsetzen konnten. Die sogenannte Basisdemokratie steht solchen einschränkenden Spielregeln reserviert gegenüber. Ich habe nicht nur einmal von führenden Grünen von Nächte langen, entnervenden
Diskussionen egomanischer Alternativer gehört, deren Erfolg hauptsächlich in der Erschöpfung jener Teilnehmer bestand, die etwas weiterbringen wollten. Und da muss man Rauscher beipflichten: das ist tatsächlich das Gegenteil von Demokratie. Was Klaus Werner-Lobo in seiner an Rauscher adresierten Apologie basisdemokratischen grünen Streitens um das, was den Grünen und wahrlich nicht nur ihnen wichtig ist, unerwähnt lässt, obwohl er es wahrscheinlich selbst erlebt hat, ist das basisdemokratische Verbot des Schlusses der Debatte, die Verachtung des Beschließens, der Widerwille gegen Entscheidungen, die auch für die gelten, die anderer Auffassung sind.

Wenn schon im Fussball gute Qualität heute nur noch von Profis erwartet werden kann, dann gilt das umso mehr für moderne Demokratien. Deshalb handelt es sich bei so gut wie allen demokratischen Staaten der Gegenwart um repräsentative Demokratien, in denen das Volk nicht selbst entscheidet, sondern sich von gewählten Profis in Parlamenten vertreten lässt. Ob da dann immer noch gesagt werden kann, dass das Recht, das diese Parlamente beschließen, vom Volk ausgeht, hängt davon ab, welchen Einfluss die Repräsentierten auf Auswahl und Arbeit ihrer Repräsentanten haben und welche Möglichkeiten den Wählern offenstehen, um ihrer Zufriedenheit oder Unzufriedenheit wirksam Ausdruck zu verleihen. Da
aber schaut es in Österreich schlecht aus. Die Auswahl und der Einfluss auf die Abgeordneten liegen ausschließlich bei den Parteien. Von den Parteien, nicht von den Wählern, sind die Mandatare abhängig und ihnen sind fühlen sie sich daher zur Disziplin verpflichtet. Die Wähler haben keine Möglichkeit der unmittelbaren Sanktion, wenn Parteien Versprechungen, derentwegen sie gewählt wurden, nicht einhalten. Da etwa ein Sozialdemokrat nicht deswegen die konservative ÖVP wählen wird, weil die SPÖ ihren Grundsätzen untreu geworden ist, stellen auch Wahlen keine echte Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung. Dass die Grünen auf Bundesebene je über ihre paar Stammprozente hinauskommen werden, ist
unwahrscheinlich.

Das Volk spürt nichts davon, dass das Recht von ihm ausgeht. Die österreichische Verfassung bietet auch keine Möglichkeit, ohne Mitwirkung des Nationalrates eine Volksabstimmung über ein bestimmtes Thema einzuleiten. So haben genialische Spitzbuben gute Chancen, auf der Welle des Frusts der Wähler zu erstaunlichen Erfolgen zu surfen. Was die dann anrichten, wenn sie an die Macht kommen, kann man in Kärnten beobachten. Durch eine Reform des Wahlrechts (dafür gäbe es in Europa einige Vorbilder und auch in Österreich interessante Ideen) und die Stärkung der Instrumente direkter Demokratie ließe sich das Problem lösen. Aber eine solche Reform ist bei uns nicht in Sicht. (Peter Warta, DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.9.2010)