Wien / Los Angeles - Im September 2009 forderten die Erben nach Jaromir Czernin, darunter dessen Tochter Sophie, über den Anwalt Andreas Theiss im Standard Die Malkunst von Jan Vermeer zurück. Sie sind der Meinung, dass Jaromir Czernin das Gemälde, das nun ein Highlight des Kunsthistorischen Museums ist, von den NS-Schergen abgepresst wurde.
Vielleicht haben die Erben aber gar keinen Anspruch: Helga Conrad, Stieftochter von Jaromir Czernin, reklamiert das Bild für sich. Sie sammelte in den letzten Jahren eine unglaubliche Fülle an Dokumenten. Die Materialien zeigen vor allem eines: Der Kampf um den Vermeer, der Reichtum verheißt, führt bloß in den Ruin.
Ende 1940 verkaufte Jaromir Czernin Die Malkunst um 1,65 Millionen Reichsmark an Adolf Hitler. Er fühlte sich, wie er nach dem Krieg zu Protokoll gab, dazu gezwungen. Schließlich war er in zweiter Ehe mit Alix May, nach den Nürnberger Rassengesetzen eine "Vierteljüdin", verheiratet. Zudem sei er "nicht bei der Partei" gewesen. Was er jedoch verschwieg: Er hatte Antrag auf Mitgliedschaft gestellt, wurde aber aufgrund seiner "jüdischen Versippung" nicht aufgenommen.
Um nicht länger "geschnitten" zu werden, ließ er sich 1942 scheiden. Doch er brach den Kontakt nicht ab, was ihm gröbere Probleme mit der Gauleitung einbrachte. Und er zeugte mit Alix ein weiteres Kind: Sophie kam im August 1945 zur Welt. Nach dem Weltkrieg heiratete er Alix erneut. Wenige Jahre später, im September 1951, wurde auch diese Ehe geschieden - nun endgültig. Jaromir Czernin war zu jener Zeit bereits mit Gertrude Conrad zusammen.
Gertrude Conrad hatte mit ihrem Mann Carl Heinz Conrad, von dem sie 1947 geschieden wurde, drei Kinder. Das jüngste, Helga, wurde 1945 geboren. Im Gespräch mit dem Standard legt Helga Conrad ein Foto vor, das sie im Alter von etwa vier Jahren zeigt. Etwas abseits sitzt Jaromir Czernin.
Helga Conrad wuchs mit ihrer Schwester Beatrix und ihrem Bruder Bodo-Bernd in Altaussee mit einem Kindermädchen auf: "Zu dieser Zeit waren meine Mutter und mein Stiefvater sehr viel in der Schweiz unterwegs." Später zog die Familie nach Kitzbühel. "Mein Stiefvater brachte uns täglich mit dem Auto zur Schule und holte uns auch wieder ab. Sonntags mussten wir in die Elf-Uhr-Messe in die Kapuziner Kirche gehen, wo nachher meistens ein Aristo-Treff stattfand."
Exekutionen und Schulden
Der Vermeer war ständiges Thema: Czernin führte mehrere Prozesse um die Rückgabe. Ihre Mutter und auch ihre Großmutter Marianne Liebl hätten sich, sagt Helga Conrad, an den Prozesskosten beteiligt. Es hätte sogar Schmuck verkauft werden müssen. "Mutter und Stiefvater waren Exekutionen ausgesetzt." Von den Czernins hingegen hätte niemand geholfen.
Jaromir hatte kein Glück: Er verlor die Prozesse. Zu Weihnachten 1954 übereignete er seiner Frau Gertrude die Rechte am Vermeer. Im Jahr darauf wurde die Ehe geschieden. Czernin, der als Beruf Kunstmaler und Forstwirt angab, versprach Gertrude 3000 Schilling monatlich an Alimenten. Doch er kam der Zahlung nicht nach: Gertrude machte von 1958 an in Kitzbühel jede Menge Schulden beim Kaufmann, beim Installateur, beim Schneidermeister.
1960 erhielt sie von Czernin zwar 25.000 Mark, die Schulden zahlte sie aber nicht zurück. 1965 wurde sie von der Staatsanwaltschaft in Innsbruck des Betruges angeklagt. Vor Gericht erschien sie nicht: Sie lebte, seit November 1963 mit dem Ingenieur Johann van de Graaff verheiratet, in der Republik Elfenbeinküste.
Zurück zu Czernin: Obwohl er den Vermeer übereignet hatte, brachte er 1955 Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein. Erst fünf Jahre später, Ende Juni 1960, wurde seine Klage abgewiesen. Es gab nun keine Instanz mehr, an die sich Czernin hätte wenden können. Er blieb der Finanzprokuratur exakt 53.571,22 Schilling schuldig.
Jaromir lebte damals in Salzburg, er war ein weiteres Mal verheiratet, diesmal mit Margarita Meta Seyffert. Dann ging er nach München, wo er am 1. Februar 1966 starb. Er soll in einem Armengrab beigesetzt worden sein. Sophie hatte einen Konkursantrag gegen ihren Vater gestellt. Sie nahm diesen erst 1968 im Zuge des Nachlassverfahrens zurück. Die Finanzprokuratur lief dem Geld bis 1970 nach; sie gab sich schließlich mit einer Abfindung von 5000 Mark zufrieden.
Gertrude van de Graaff hatte weiterhin die Betrugsgeschichte am Hals (die Schulden beglich sie erst etwas später, in der Folge wurde das Verfahren eingestellt): 1966, nach Czernins Tod, überlegte sie, die Herausgabe des Vermeers einzufordern. Czernins ehemaliger Anwalt riet ihr aber ab. 19 Jahre später, im Dezember 1985, trat Gertrude "die übernommenen Rechte" an ihre Tochter Helga Conrad ab. Und diese klagte sogleich - sonderbarerweise im Namen ihrer Mutter - die Republik.
Das Gericht bestritt, dass Gertrude das Bild übereignet worden sei. Und falls doch, würden gefällte Entscheidungen auch für sie gelten: "Sonst kämen Verfahren ja nie zu einem Ende; denn der unterlegene Kläger brauchte ja dann nur immer neue Schenkungen zu erzeugen, um neuerliche Verfahren zu bewirken." Im September 1986 erklärte sich Gertrude "mit einem ewigen Ruhen dieser Rechtssache" einverstanden.
Sozialhilfe und Tod in Graz
Im Oktober 1998 starb Gertrude in Graz. Sie hatte von der Sozialhilfe gelebt. Es war kein Nachlassvermögen vorhanden. Die Bestattungskosten wurden vom Magistrat Graz, Sozialamt, bezahlt.
Helga, die unter anderem als Chefstuardess bei PanAm gearbeitet hatte, kam 2004 zurück nach Europa. Im Jänner 2006 feierte Anwalt Randol E. Schoenberg einen Triumph: Die Erben nach Ferdinand Bloch-Bauer erhielten u. a. die Goldene Adele von Gustav Klimt zurück. Helga Conrad erinnerte sich plötzlich des Vermeers. Im November 2007 kontaktierte sie Schoenberg. Nun hieß es, Material zu sammeln. Im Mai 2009 informierte Helga Conrad die Czernins über ihre Absichten. Bei den Erben herrschte helle Aufregung: Bereits im September 2009 forderten sie den Vermeer zurück. (Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe 11./12.9.2010)