Schimpfen über die Modernisierungsverlierer? Nicht sehr vernünftig.

Foto: derStandard.at7Zielina

Jedem, der sich für Österreichs Innenpolitik interessiert, kann man nur empfehlen, sich einmal als Zaungast zu einer Wahlkampfveranstaltung der FPÖ zu begeben. Da kann man Studien lesen so viel man mag, so richtig klar wird das Erfolgsrezept der Blauen erst, wenn man sich dort mitten ins Geschehen wirft und Wählerbeobachtung betreibt, im besten Fall mit ein paar der Anwesenden spricht.

Jetzt ist es natürlich so, dass diejenigen, die Strache und der John Otti Band auf einem bierdünstigen Platz in irgendeinem „Arbeiterbezirk" zujubeln nicht unbedingt einen repräsentativen Querschnitt durch das blaue Wählerpotenzial bilden müssen, aber wir können davon ausgehen, dass sie auch kein unwesentlicher Bestandteil davon sind. Als Journalist erliegt man leicht der Versuchung, sich über diese FPÖ-Wähler lustig zu machen. Sie sind oft wenig gebildet oder machen zumindest diesen Eindruck. Sie grölen bei ausländerfeindlichen Statements der Redner auf der Bühne, sie haben am Nachmittag bereits das eine oder andere Bier intus. Kurz, sie sind das, was man euphemistisch „Modernisierungsverlierer" nennt. Wütende, ängstliche, hoffnungs- und oft arbeitslose junge Männer und ältere Frauen.

Wie geht man damit als Journalist um? Klar, man kann wunderbare Reportagen im Spira-Stil machen, sich über die Dummheit der Leute erregen und am Abend heim ins hübsche und gepflegte Appartment im urbanen Trendbezirk fahren. Analog machen es gern die Politiker gemäßigter oder linker Parteien: Die eine oder andere Presseaussendung, in der man die Hetze der Blauen verdammt, ein bisschen Kopfschütteln und Schimpfen über die blöden Wähler, dann heim in die hübsche und hetzefreie Wohnung. Das ist natürlich ein legitimes Prozedere, nur ist es halt nicht besonders nachhaltig.

Dann kommt der Wahltag und, Überraschung, die Wähler haben gesprochen - Strache darf sich über ein gutes Ergebnis freuen. So lief es in den vergangenen Jahren, so läuft es diesmal. Ja, sind die Leute, die sich von Slogans wie „Daham statt Islam" und plumpen Schuldzuweisungen blenden lassen, denn so dumm? Darf man sich über sie lustig machen und sich so aus der Verantwortung ziehen?

Im Herbst 2005, kurz nach der letzten Wien-Wahl , habe ich einen Kommentar geschrieben, und er gilt heute noch genauso. Die FPÖ setzt, schrieb ich damals, ungeniert auf eine der ältesten menschlichen Emotionen: die Angst. „Und Straches Wähler haben Angst, sie fürchten um ihren Job, ihre Gesundheit, ihre Sicherheit, um die Bildung ihrer Kinder, um ihre Sprache. Wer sich fürchtet, sucht Schuldige. Wer Schuldige sucht, findet sie oft in ‚den Ausländern‘."

Vielleicht würde es manchmal ganz gut tun, diejenigen, die Straches Slogans glauben, nicht als böse rechte Dummköpfe, sondern als, um es klar zu sagen, arme Würstel zu sehen, die einfach Angst haben - und den einzigen wählen, der Ihnen sagt: Ich verstehe euch, ich verstehe eure Angst und eure Vorbehalte und eure Sorgen. Für die Journalisten würde das bedeuten, einmal den eigenen Blickwinkel zu verlassen, für die Politiker zitiere ich nochmal meinen Kommentar von 2005.
„Aktive Integrationspolitik, die keine Feindbilder schürt, aber auch keine Beschwichtigungsdogmatik verwendet, wo Veränderungen nötig wären, ist die beste Rassismus-Prophylaxe. Nehmt ihnen ihre Angst, und ihr nehmt der FPÖ ihre Macht." (derStandard.at, 9.9.2010)