Der Osten bleibt weiterhin die Archillesferse der Österreicher glaubt Johann Prader: "Das sind Emerging Markets. Wir wissen nicht, wie die IWF-Programme sich mittelfristig entwickeln werden."

Foto: IWF

derStandard.at: US-Präsident Barack Obama hat gerade wieder einige Milliarden zur Konjunkturstimulation lockergemacht und Europa diskutierte wieder einmal inwieweit nun die Finanzwelt wieder auf sicheren Beinen steht. Ist jetzt bald alles wieder gut?

Johann Prader: Schwer zu sagen. Die Hauptfrage ist, ob es langfristig wieder höheres Wachstum mit starkem Beschäftigungszuwachs geben wird. Wenn wir uns langfristig auf niedrigem Wachstum, mit all den bestehenden Unsicherheiten, wie hohen Staatsverschuldungen bewegen, bleibt auch die Situation der Banken weiter gefährlich.

derStandard.at: Der IWF warnte jüngst vor dem "bedrohlichen" Schuldenstand nach den ökonomischen Verwerfungen der vergangenen zwei Jahre. Griechenland, Italien, Portugal und Japan sind demnach die größten Sorgenkinder. USA, Großbritannien, Spanien, Island und Irland werden in einer zweiten Kategorie der Sorgenkinder genannt. Wo liegt Österreich?

Prader: Wir sind in der mittleren Gruppe mit einem Stand von ungefähr 70 Prozent. Aber das Problem für Österreich ist, dass wir wegen dem Bankensystem relativ stark von der Entwicklung der Emerging Markets in Osteuropa abhängig sind. Deswegen ist die Problematik der Verschuldung in Österreich etwas kritischer, obwohl sie relativ niedrig ist.

derStandard.at: Sind Österreichs Banken zu groß?

Prader: Ich glaube nicht. Länder wie die Schweiz haben ein größeres Bankensystem. An sich ist die Größe kein Problem, wenn es eine sehr vorsichtige Schuldenpolitik des Staates gibt. Aber die Österreicher müssen darüber nachdenken, welche Fiskalpolitik man haben muss, wenn man ein Bankensystem hat, das im Ausland noch einmal so groß ist wie im Inland.

derStandard.at: CEE bleibt also weiterhin die Archillesferse der Österreicher - auch wenn es in verschiedenen Ländern schon wieder deutlich bergauf geht?

Prader: Das sind Emerging Markets. Die Entwicklungen in Osteuropa sind auch sehr unterschiedlich und wir wissen auch nicht, wie die IWF-Programme sich mittelfristig entwickeln werden. Wir wissen aber, dass viele Länder eine Zeitlang die notwendige Politik verfolgen, aber dann politische Schwierigkeiten bekommen, sie auch aufrecht zu halten. Auch wenn Österreich ein Euro-Land ist, gibt es durch das Ost-Engagement der Banken und Unternehmen Einwirkungen von Emerging-Markets.

derStandard.at: Nun wird heftig diskutiert unter welchen Voraussetzungen man den Banken riskantes Verhalten "erlauben" soll. Was müsste die Schlussfolgerung für Österreichs Institute sein?

Prader: Es gibt für neue Fremdwährungskredite von nicht abgesicherten privaten Haushalten de facto ein Verbot. Damit ist eine wesentliche Reform bereits passiert. Die österreichischen Aufsichtsbehörden bemühen sich auch in Osteuropa, dieses Problem unter Kontrolle zu bekommen. Außerdem wissen Österreichs Banken, dass sie nicht mehr so exzessiv Kredite in Osteuropa vergeben können wie vor der Krise.

derStandard.at: Was die Fremdwährungskredite betrifft, so ist in den Ost-Ländern bei weitem noch nicht alles im Lot...

Prader: Das nicht. Aber es gibt Gespräche mit den Aufsichtsbehörden, Initiativen der EU-Kommission und so wie ich es verstehe auch von Seiten der IBRD (Anm. Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung). Das Problem ist eindeutig erkannt. Die Schwierigkeit ist, dass es in manchen Ländern ohne Fremdwährungskredite faktisch nicht geht. Da muss man erst einen Kapitalmarkt in lokaler Währung entwickeln. In bestimmten Ländern gibt es außerdem wenig Vertrauen in die eigene Währung und viele bekommen auch Gelder von Familienmitgliedern, die im Ausland arbeiten. Diese Besonderheiten muss man in den jeweiligen Ländern diskutieren.

derStandard.at: Das klingt nicht nach schneller Lösung, die es ja auch in Österreich nicht gab.

Prader: Das Problem in Österreich war, dass private Haushalte, die kein Deviseneinkommen hatten, Fremdwährungskredite zum Häuserbauen aufnahmen. Die Gelder wurden in so genannten Tilgungsträgern angelegt, die durch die Krise selbst in Schwierigkeiten geraten sind. Diese Fremdwährungskredite haben sich auch in Osteuropa sehr verbreitet und nicht nur in Ländern, die traditionell Einnahmen aus Überweisungen von Arbeitskräften im Ausland hatten. Die Illusion, dass Fremdwährungskredite kein Risiko darstellen, weil es keine abrupten Wechselkursschwankungen und Zinsschwankungen gibt und dass sowieso alle Länder früh zum Euro kommen, ist zerstört worden. Trotzdem gibt es massive Interessen, das nicht zu ändern.

derStandard.at: Das ist vermutlich gar nicht so einfach...

Prader: In Ungarn haben rund 700.000 Haushalte Kredite in Euro oder in Schweizer Franken, sind extrem verschuldet und vor dem Bankrott. Die ungarische Regierung überlegt, ein staatliches Institut aufzumachen, um diese Kredite in Landeswährung zu konvertieren. Da muss man erst einmal sehen, wie das funktioniert.

derStandard.at: Die Leute haben da nichts mehr mitzureden?

Prader: Die haben gar keine Wahl, denn das Wasser steht ihnen bis zum Hals. Bei einem Problem der Auslandsverschuldung gibt es einerseits die Möglichkeit, dass die Banken freiwillig Lösungen mit niedrigeren Zinssätzen und Erstreckung der Zahlungsfristen zur Umstrukturierung anbieten. Es gibt auch das andere Extrem: die argentinische Lösung, wo man Fremdwährungskredite zwangsweise in Landeswährung konvertiert hat. Das ist sehr hart für die Banken. Die Konsequenz in Argentinien war, dass die ausländischen Banken das Land verlassen haben. Die wurden praktisch enteignet.

derStandard.at: Dieses Schicksal könnte auch Österreichs Banken ereilen.

Prader: Wir hoffen immer alle auf Vernunft. Was im Moment in Ländern passiert, wo es ein großes Problem gibt, wie in der Ukraine oder auch in Ungarn: Die Banken bieten selbst Modelle an, wie konvertiert werden kann. In Österreich herrscht die Meinung vor, die Banken sind unfair, weil sie wollen, dass in Landeswährung umgeschichtet wird. Aber vom Standpunkt eines Ökonomen ist es ein Wahnsinn, dass Leute, die kein Einkommen in Fremdwährung haben, Fremdwährungskredite aufnehmen. Die FMA und auch die OeNB haben in Österreich seit 2003 davor gewarnt und waren dagegen. Die wurden hingestellt als Beamte, die keine Fantasie haben und nicht verstehen, was es für Möglichkeiten gibt, um billig Häuser zu bauen. Fremdwährungskredite wurden beworben, nicht nur in Österreich. Das war eine Art der Sozialpolitik. Das ist vergleichbar mit Amerika: Man dachte man kann billig Häuser bauen ohne Risiko und mit viel niedrigeren Zinsen. Diese Illusion hatten nicht nur einfache Leute, sondern auch Ökonomen oder Zentralbankgouverneure.

derStandard.at:
Ein Thema wo derzeit noch bei weitem keine Einigkeit herrscht sind Finanztransaktionssteuer bzw. Finanzaktivitätssteuer. Was spricht für das eine was für das andere?

Prader: Aus den Steuerdiskussionen will ich mich heraushalten. Das ist Sache des Finanzministers. Zu bedenken ist, dass die Einführung der Bankenabgabe in Österreich Nachbarländer ermutigt hat, das gleiche zu machen. Manche Österreicher übersehen, dass wir international aktiv sind.

derStandard.at: Es bleibt ohnedies die Frage ob es zu einer europäischen Einigung kommt. Sehen Sie die Notwendigkeit für ein internationales Abkommen - auch mit den USA?

Prader: Sicher. Ohne internationales Abkommen ist so etwas schwer durchzuführen. Jedes Land, das so eine Abgabe einseitig einführt, wird sich ein Problem einhandeln.

derStandard.at: Schon beschlossene Sache in der EU ist nun, dass es mehr Haushaltsdisziplin geben soll.

Prader: In der Praxis wird das schwierig werden. Aber Griechenland war ein Schock für alle. Niemand hat an ein derartiges Ausmaß der griechischen Krise gedacht. Man hat die Ungleichgewichte im Euro-System unterschätzt und man hat nicht gesehen, dass die Haushaltsdisziplin sehr unterschiedlich ist und dass vielleicht für bestimmte Länder die Übernahme der niedrigeren Zinsen ein systemischer Anreiz war, möglichst stark in Schulden zu gehen und viel auszugeben.

derStandard.at: Griechenland zieht aber jetzt die Restrukturierungsmaßnahmen offenbar radikal durch.

Prader: Das griechische Programm ist sicher drastisch. Ich habe schon viele Programme mitgemacht - auch in Osteuropa. Die Hauptproblematik ist immer, ob Programme und Reformen auf Dauer durchgehalten werden. Wir kennen das von Österreich.

derStandard.at: Reformen gibt es auch beim IWF, wo die Stimmengewichte neu verteilt werden sollen. Die Europäer wollen naturgemäß nicht weniger Einfluss. Wird es eine salomonische Entscheidung geben?

Prader: Das eine ist die Reform der Quoten oder Kapitalanteile im IWF. Da werden eine Reihe von europäischen Ländern Anteile verlieren. Österreich gehört nicht dazu, weil in der Vergangenheit die berechnete Quote viel höher war als die tatsächliche. Unsere berechnete Quote wird sinken und sich der tatsächlichen angleichen. Wir werden also stagnieren.

derStandard.at: Was hat sich an der Formel verändert?

Prader: Sie ist nicht mehr so stark danach ausgerichtet, wie sehr die Finanz- oder Gütertransaktionen einer Volkswirtschaft im Ausland exponiert sind, sondern mehr auf binnenwirtschafltiche Faktoren. So profitieren Länder wie die USA mit einem geringen Außenhandelsanteil. Länder, wie die kleinen und mittleren europäischen, die extrem außenwirtschaftlich orientiert sind, werden de facto zur Ader gelassen. Aber am Ende würden auch die Amerikaner verlieren. Die tun aber alles, um durch weitere Korrekturen der Formel diese Verluste auf die Europäer abzuwälzen. Das sind Machtfragen. Ich komme ja vom Land: Die größten Streitigkeiten gab es immer über die Grenzen der Felder und Wiesen...

derStandard.at: ...und die Grenzsteine, die von Fall zu Fall wandern.

Prader: Ja genau, jemand will immer die Grenzsteine verschieben. Aber es ist natürlich immer schockierender, wenn es die eigene Wiese betrifft, als wenn das weiter weg passiert. (Regina Bruckner, derStandard.at, 9.9.2010)