"Man darf die Probleme vor Ort nicht vergessen, nur weil man den Hunger in der Welt beseitigen will", sagt Alexander Van der Bellen.

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Standard: "Wir haben persönliche Querelen, ja und?", haben Sie beim Wahlkampfauftakt gefragt. Die Antwort ist: Ja und das kostet sicher Stimmen. Was wird gemacht, um den Misserfolg zu verhindern?

Van der Bellen: Es gab Konflikte. Was nutzt es, sich darin zu vertiefen? Es haben sich ein paar Leute verabschiedet, das ist nicht so ungewöhnlich. Dafür kommen andere nach.

Standard: Eva Glawischnig und Maria Vassilakou haben ziemlich angefressen auf den Schennach-Wechsel reagiert. Sie finden, es ist die Aufregung nicht wert?

Van der Bellen: Ich werde nichts Böses über ihn sagen, er ist ein Freund von mir. Sich mit diesen Befindlichkeiten zu beschäftigen, nimmt Energie und nervt. Also, was soll's?

Standard: Es wird die Grünen Stimmen kosten.

Van der Bellen: Ja, mein Gott. Soll ich mir deswegen eine Schlinge um den Hals legen?

Standard: Nein, aber zwischen der Schlinge und einem "Na und?" gibt es ja Reaktionsspielraum.

Van der Bellen: Hat sich Franz Voves in ein Kammerl eingesperrt, um zu weinen, als sich die Grazer SPÖ in die Luft gesprengt hat? Nein. Man muss das Beste aus der Situation machen. Alfred Gusenbauer hat 2006 trotz Bawag mit der SPÖ den ersten Platz erreicht.

Standard: Eva Glawischnig hat im Standard-Sommergespräch gesagt, man müsse neue Modelle der Listenerstellung diskutieren, die Basisdemokratie führe in eine Sackgasse. Ein Tabubruch?

Van der Bellen: Nein. Für mich ist die Kernfrage, wie eine Partei die Balance zwischen Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit und Verantwortung organisiert. Es kann nicht sein, dass die Spitze alle Verantwortung trägt, aber null Möglichkeit hat, übergeordnete Interessen durchzusetzen.

Standard: Also eine Änderung?

Van der Bellen: Darüber rede ich nach der Wahl. Die Wähler interessieren diese Interna nicht.

Standard: Sie haben sich vorgenommen, sieben Stadträte zu besetzen. Sind die Grünen in der Lage für so hochgesteckte Ziele?

Van der Bellen: Warum nicht? (lacht) Aber ernsthaft, der Hintergrund ist: Die SPÖ soll die Absolute verlieren. Und sich dann gegen das langweilige Rot-Schwarz-Auslaufmodell entscheiden, über ihren Schatten springen und was Neues probieren. Michael Häupl muss sich überlegen, als was er in die Geschichte eingehen will. Als ewiger rot-schwarzer Verwalter? Oder als Erneuerer mit Rot-Grün? Wien gehört allen, nicht der SPÖ allein. Schon die Verschränkung von Wirtschaftsbetrieben und der SPÖ, die es gibt, erinnert an Ostblock-Verhältnisse. Wenn die SPÖ so weitermacht, ist das Harakiri mit Anlauf.

Standard: Die ÖVP wirkt im Wahlkampf fast unterwürfig gegenüber der SPÖ, plakatiert sogar den Bürgermeister. Was bieten Sie?

Van der Bellen: Wir bieten der SPÖ gar nichts an, außer Kooperation im Dienste Wiens. Wenn sie weiter auf ihrem Weichlager liegen will, dann werden wir Grünen das schon aushalten. Für die Stadt ist es schlecht, etwa in Bildungs-, Sozial- oder Zuwanderungsfragen.

Standard: Wie würde ein Wiener merken, dass ihn Rot-Grün regiert?

Van der Bellen: Daran, dass im Budget andere Prioritäten gesetzt werden. Die Stadt Wien gibt 100.000 Euro pro Tag für Inserate aus. Geben wir dieses Geld doch den Kindergärten, den Frauenhäusern, der Forschung.

Standard: Wieso sollte die SPÖ die Grünen an Bord holen?

Van der Bellen: Die SPÖ ist ausgeblutet. Ich bin nicht ihr Retter. Aber ich betrachte diese Provinzialisierung und Vergartenzwergung des Landes mit einer Mischung aus Bedauern und Sorge.

Standard: Wenn die SPÖ euch holt, wird sie gerettet?

Van der Bellen: Wenn das ein Nebeneffekt ist, sage ich: Schlucken wir die Krot.

Standard: Was wollen Sie nach der Wahl sein?

Van der Bellen: Stadtrat. Da bieten sich Finanzen, Wirtschaft oder Bildung und Forschung an.

Standard: Würden Sie an Schennachs Stelle Bundesrat werden?

Van der Bellen: Nicht, wenn ich vorher der SPÖ beitreten müsste.

Standard: Für die Grünen?

Van der Bellen: Stadtrat genügt.

Standard: Die Grünen streben offensichtlich nach Macht, kann das zum Bumerang werden?

Van der Bellen: Wir sind ja kein Theologenseminar. Außerdem bin ich da ohnehin unverdächtig. Als Bundessprecher habe ich viel zu lange gezögert zu sagen: Wir wollen an die Macht.

Standard: Wolfgang Rosam hat im Sommergespräch gesagt, die Grünen wollen zuerst die Welt retten und dann Ottakring. Umgekehrt wäre es vielleicht leichter. Haben die Grünen zu hohe Ziele und vergessen darüber österreichische Banalitäten?

Van der Bellen: Da ist eine Kernwahrheit dabei. Man darf die Probleme vor Ort nicht vergessen, nur weil man den Hunger in der Welt beseitigen will. Unsere Sprache könnte manchmal konkreter sein: Wir hatten einmal ein Medienseminar, wo der Leiter gefragt hat, ob wir jemals den Ausdruck Biomasse verwendet haben. Ja, klar. Aber welcher Mensch weiß, was Biomasse ist. Da muss man sagen: Holz oder Gras oder so etwas.

Standard: Sind Sie zu vage?

Van der Bellen: Mag sein. Aber wenn einer im Jahr 2010 nicht weiß, dass die Grünen für Umwelt und Klimaschutz einstehen, muss ich sagen: Diejenige Person ist für uns im Wahlkampf auch schwer erreichbar. Und das ist nett ausgedrückt.

Standard: Wenn Vassilakou Vizebürgermeisterin wird, lassen Sie dann das Rauchen sein?

Van der Bellen: Welcher Heilige sollte mir denn dieses Gelübde abnehmen. Ich bin Agnostiker. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.9.2010)