Iran, 1953: Munis (Shabnam Tolouei), eine der Protagonistinnen aus "Women Without Men" , engagiert sich politisch.

Foto: Polyfilm

Wien - Kurz nach dem Beginn von Shirin Neshats Spielfilm Women Without Men gibt es eine unmögliche Kamerabewegung: nah am Boden über eine Wiese, einem Bachlauf folgend, durch ein Schlupfloch an einer Mauer hinein in einen Garten und dort dann hoch hinauf, über Palmen- und Baumwipfel. Der Garten, der zu einer abgelegenen Villa gehört, wird später noch wichtig werden. Die visuell anziehende Art, in der er betreten wird, scheint ein Rätsel aufzugeben, das sich nicht lösen wird. Vielleicht soll man die Aufnahmen auch gar nicht metaphorisch, sondern ganz vordergründig verstehen: Wir werden in diesen Film wie in einen verwunschenen Garten geführt und dort dann erst einmal alleingelassen.

Women Without Men, den die Wiener Coop99 mitproduzierte und der vor einem Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt und auch prämiert wurde, basiert auf einem Roman der bekannten persischen Schriftstellerin Shahrnush Parsipur. Er spielt im Jahr 1953, einem für die Geschichte des Iran sehr bedeutsamen Jahr, weil der demokratisch gewählte Präsident Mossadegh in einem Staatsstreich entmachtet wurde.

Tradition und Widerstand

Wie der Titel sagt, liegt der Fokus des Films jedoch bei den Frauen und deren Stellung - anhand von vier Protagonistinnen werden vier mögliche Existenzweisen (ohne Mann) gezeigt: als sich den religiös-patriarchalen Traditionen unterordnende junge Frau mit Heiratsabsichten (Pegah Ferydoni) und im zunächst passiven, später aktiven politischen Widerstand (Shabnam Tolouei), als Hure (Orsi Tóth) dem unerbittlichen Regiment einer Madame und einer nicht enden wollenden Abfolge von Kunden unterworfen und als Angehörige der Oberschicht und Generalsgattin (Arita Shahrzad), die zwar materiell abgesichert lebt, aber ihre Sehnsüchte nicht erfüllt sieht.

Letztere erwirbt das Anwesen mit dem Garten, zwei weitere Leidensgenossinnen verschlägt es dorthin - wie in einem Frauenhaus finden sie Aufnahme und bedingungslosen Schutz. Einzig Munis, eine mysteriöse Wiedergängerin, bleibt in Teheran, um sich dort den Pro-Mossadegh-Demonstrationen anzuschließen.

Women Without Men ist das Debüt von Shirin Neshat als Filmregisseurin. Die 1957 im Nordiran geborene und schon seit 1979 in den USA lebende Neshat hat sich zuvor international mit Fotoserien und Videoinstallationen einen Namen gemacht. Auch von Women Without Men gibt es eine zwischen 2003 und 2008 gemeinsam mit Shoja Azari erarbeitete installative Version - die Krux bei der Filmarbeit habe, sagt Neshat in einem im Presseheft zitierten Interview, unter anderem darin bestanden, "wunderschöne Bilder" zu verwerfen, "weil sie zu störend sind" . Nach Ansicht des Films nimmt man jedoch genau den Eindruck mit, dass die Regisseurin den visuellen Versuchungen zulasten des narrativen Zusammenhanges erlegen ist: Munis' Kleid mit den beigen Ahornblättern auf braunem Grund und wie sich der Tellerrock beim Eintauchen in einen Pool zu einem spitzenbesetzten Rund bauscht und faltet, Zarins ausgemergelter Körper und wie sie ihn im Badehaus blutig schrubbt oder der Eintritt in den Garten - vor allem solche Bilder bleiben. (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 7. September 2010)