Jan Vormanns "Dispatchwork" zieht eine Spur bunter Legosteine von Berlin bis Tel Aviv. Beginnt er irgendwo eine Mauer zu flicken, ist das jedes Mal ein gemeinschaftliches Ereignis, an dem jeder mitmachen will.

Foto: Johannes Abe

Mit der Reparatur der Gesellschaft, des Körpers, der Natur, aber auch Dingen des Alltags trifft das Festival heuer brennende Fragen der Zeit.

Linz - Das Reparieren zerbrochener Dinge geht im Film blitzschnell und mit einem einfachen Trick. Man lässt ihn einfach rückwärts laufen. Ein medialer, heute meist digitaler Kniff, der hilft, Zeit und Vergänglichkeit zu überlisten. Im realen Leben, gibt's zwar kein Zurückspulen, der US-Künstler Jonathan Schipper hat dennoch eine Apparatur ("Measuring Angst", Teil der "Cyber Arts") gebaut, die im Loop das Fliegen und Zerbersten einer Flasche analog simuliert und die Scherben dann auch wieder zusammensetzt. Alles freilich in Zeitlupe und mit vielen Roboterarmen drumherum. Trotz aller schönen Finesse ist die Maschine mehr eine philosophisch-technische Spielerei der Kunst.

Auf der Ars Electronica, die auch auf den zweiten Blick den Flair des charmanten Chaos versprüht, gibt es aber Bereiche, die sich mit tatsächlichen Reparaturen beschäftigen - die etwa auch Großmutters Teekanne wieder heil machen. "Design for Repair" zeigt zahlreiche Initiativen, die nach dem Motto "Stop Recycling. Start Repairing!" agieren. Ausgegeben hat die Devise einst die niederländische Platform 21, die mit ihrem 11 Punkte-"Repair-Manifesto" zahlreiche Ideen angestoßen hat . Die globale Krise machte die weitere Finanzierung laufender Projekte jedoch unmöglich und so wartet man einstweilen auf bessere Zeiten. Aber, wirft einer ihrer Köpfe, Arne Hendriks bei der Konferenz "Making a Difference" ein, "Reparieren ist keine Sache der Krise. Es geht dabei um die Mentalität. Und um die Schönheit."

Denn, wieso sollen reparierte Dinge nicht schön sein? Eine Präsentation von ein paar Dutzend der am besten reparierten Sessel beweist das Gegenteil. Reparieren ist eine Lebenseinstellung und im Grunde "eine der radikalsten antikapitalistischen Strategien", weil so irgendwann ein Problem für die Industrie entsteht." Dennoch rät Hendriks, kein Sklave der Technologien zu werden und sich durch Strategien des Wieder-in-Funktion-Bringens, unabhängig zu machen.

Die Niederländerin Lotte Dekker hat die besondere Ästhetik geklebten Geschirrs, die Schönheit der nicht perfekten Reparatur, zwar nicht erfunden, aber für sich und andere wiederentdeckt und weiterentwickelt: Kintsugi heißt die japanische Klebetechnik zu der auch eine Legende gehört: Weil ein König mit der geklammerten Reparatur eines Porzellans nicht zufrieden war, fand man eine Alternative und fügte die Teile mit einer Lack-Gold-Mischung zusammen. Die Klebefugen sind dann zwar deutlich sichtbar, aber dafür sehr edel. Ein Statement. Dekkers Variante ist zwar ebenso schön, aber weniger kostspielig und wer will, kann gleich vor Ort mit dem Kleben anfangen oder den Repair Kit für Zuhause mitnehmen. Auch Heleen Klopper (NL) hat ein Reparaturset entwickelt: Mit Wollfasern und einer Filznadel kann man Motten- und andere Löcher in Wollkleidung stopfen: Durch das Durchstechen verbinden sich die Schuppen der beiden Naturfasern. Der deutsche Jan Vormann "will jede kaputte Wand der Welt mit 'Dispatchwork' reparieren" und hat in der Tabakfabrik auch kurzerhand seine bunte Lego-Flickmethode an einem bröckelnden Mauersockel angewandt.

"Ich will nicht auf einem weiteren Filzstuhl sitzen und meinen Biokaffee trinken, ich will an Lösungen arbeiten", sagt Hendriks über die kreative Herausforderung des Reparierens, die sich an jeden einzelnen wendet und nicht auf Lösungen in Wissenschaft und Technologie wartet.

Reparaturvorschläge auf Expertenebene finden sich auf der Ars allerdings auch: Sei es, dass es beim Vortrag von US-Soziologe Richard Sennett zur Zukunft von Arbeit und Wert des Handwerk, im weitesten Sinn um die Reparatur der Gesellschaft geht, oder wie bei der mit der Goldenen Nica belohnten Erfindung des "Eye Writers", um die Reparatur des Körpers. Der Prototyp des Eye-Writers (eine aufgetunte Tracking-Brille) wurde für den an ALS erkrankten und nun am ganzen Körper gelähmten Graffiti-Künstler Tony Quann erfunden, der nun wieder mit den Augen zeichnen kann. Eines seiner so entstandenen Graffiti-Designs wurde 2009 beim Wiener "Black River"-Street-Art-Festival (das aktuelle startet am 10.9.) von einem anderen Künstler realisiert.

Faszinierend auch die derzeit noch utopische Idee der vertikalen Landwirtschaft und der vertikalen Farm zu der US-Mikrobiologe Dickson Despommier referierte. Unter anderem weil die traditionelle Landwirtschaft 70 Prozent der Trinkwasserreserven benötige und 20 Prozent des US-Verbrauchs an fossilen Brennstoffen, müsse die Zukunft im Anbau ohne Erde liegen. Die vertikale Lösung kann direkt in der Stadt umgesetzt werden und spare Fläche, die der Natur zur Regeneration zurückgegeben werden kann. "Wir müssen die Erde in Ruhe lassen und ihr gestatten, sich selbst zu heilen. Sie weiß selbst am besten wie das geht."

Es bedarf aber auch Utopien, um die notwendigen Lösungen für die Zukunft des Planeten zu finden. Und so ist der in circa zwanzig Metern Höhe an der Kraftwerksfassade montierte Basketballkorb von Benjamin Bergmann mit dem lakonischen Titel "Never Ever" nur als Ansporn zu sehen, das Unmögliche möglich zu machen. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.9.2010)