Von Boulle sind nur wenige Luster-Modelle bekannt (siehe Musterblatt unten). Eine bislang verkannte Ausführung gelangt am 13. Oktober im Dorotheum zur Auktion (Taxe 600.000- 800.000 Euro).

 

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Ein Kinsky-Käufer bewies geniales Gespür. 365 Tage und eine Expertise später könnte es ihm via Dorotheum ein kleines Vermögen bescheren.

Den Nachlass eines Antiquitätenhändlers ohne Limit zu versteigern ist in der Branche eher untypisch. Auch für das Publikum war die Versteigerung der Sammlung Franz Hruschkas im Oktober vergangenen Jahres im Kinsky also ein Glücksfall. Schnäppchen, wie einen 120 mal 70 cm großen Perserteppich, gab's schon für 38 Euro. Anderes stieg wiederum deutlich über den vorab kalkulierten Verkaufspreis. Jedes einzelne Exponat der Hruschka-Kollektion wechselte jedenfalls am 13. und 14. Oktober 2009 den Besitzer.

Der organisatorische Aufwand hinter dem wohl umfangreichsten Angebot in der Kinsky-Geschichte war enorm gewesen. Die Katalogisierung der mehr als 1200 Posten dürfte trotz eines Teams von Experten wohl Wochen in Anspruch genommen haben. Allein die Sitzung der Sparte Antiquitäten dauerte stattliche sechseinhalb Stunden. Dem ungeachtet bewies der Käufer von Lot Nummer 854 eine aus gegenwärtiger Sicht geniale Urteilskraft.

Die Gebote für den im Katalog als "prunkvoll, Frankreich um 1730" bezeichneten Luster aus feuervergoldeter Bronze starteten bei 5000 Euro. Bei netto 13.000 Euro hatte das kleine Gerangel unter den Interessenten ein Ende, und Otto Hans Ressler erteilte den Zuschlag. Inklusive Provision des Auktionshauses bezahlte der erfolgreiche Bieter aus Deutschland 16.250 Euro und nahm das Prunkstück entgegen.

Einige Wochen und Recherchen später mutmaßte der stolze Besitzer eine wahrhaft renommierte Abstammung, und das nicht unbegründet. Am 30. Oktober hatte in Frankfurt, im dortigen Museum für Angewandte Kunst, eine nicht weniger als acht Jahre lang vorbereitete Ausstellung begonnen, die sich als erste Retrospektive ausschließlich dem Werk des französischen Hofebenisten André Charles Boulles (1642- 1732) widmete. Bis zum 31. Jänner 2010 gab es dort 150 Möbel, Bronzen, kunsthandwerkliche Objekte sowie Gemälde und Entwurfszeichnungen zu sehen, die einen Einblick in die Einrichtungskultur unter der Regentschaft Ludwig XIV. gewährten.

Einer der vier dort präsentierten Luster, eine Leihgabe aus dem Victor & Albert Museum (V&A, London), glich dem in Wien erworbenen nicht nur frappant, sondern wies idente Dekorelemente auf: Die charakteristischen Delfine mit aufgerichtetem Schwanz, das Flechtwerk aus Bändern und Schmuckrosen, die Löwenmasken oder die Medaillons mit dem Profil von Julius Cäsar und seiner Calpurnia. Im Katalog zur Ausstellung merkte der Ausstellungsleiter und weltweit anerkannte Boulle-Experte Jean Nérée Ronfort aber auch an, dass dieser "Lüster mit Delfinen" im 19. Jahrhundert vielfach kopiert wurde. Insbesondere für den deutschen Kaiser Wilhelm II., der seine Schlösser in Berlin und Potsdam mit Repliken dieses Modells bestückte.

Verkanntes Original

Ein Blick in die Datenbanken von Christie's und Sotheby's belegt das relativ häufige Vorkommen solcher auf dem Markt, etwa in Amsterdam oder New York, weiters, dass 16.250 Euro ein marktkonformer Betrag für solche Nachgüsse wäre. Und doch mehrten sich schon aufgrund der Verarbeitung die Hinweise darauf, dass es sich um ein Original handeln könnte. In der Februar-Ausgabe des englischen Fachmagazins The Art Newspaper avisierte das Dorotheum über eine Anzeige, einen "Boulle zugeschriebenen" Luster. Auf Anfrage im Dorotheum erfuhr man damals nur, dass man noch eine Expertise des weltweit anerkannten Ronfort in Erwägung ziehen würde und der endgültige Auktionstermin noch nicht feststünde.

In Begleitung des Lusters war Experte Georg Ludwigstorff Anfang des Jahres jedenfalls nach Frankfurt gepilgert, um ihn vor Ort mit jenem aus dem V&A zu vergleichen. Wochen, ja Monate später gab sich schließlich auch Ronfort in Wien die Ehre. Drei Tage lang, so schildert Ludwigstorff, habe dieser den Luster in seine rund 400 Einzelteile zerlegt und hunderte Fotos angefertigt. Nein, zusammengebaut habe er ihn nicht wieder, das durften Mitarbeiter des Dorotheums.

Zu entlocken war dem Franzosen zu diesem Zeitpunkt nichts, Details solle man später seiner Expertise entnehmen. Seit einigen Wochen liegt diese nun vor und dürfte dem Dorotheum demnächst internationale Aufmerksamkeit sichern. Sämtliche Zweifel sind ausgeräumt, und, ja, es handelt sich um ein Original aus der Boulle-Werkstatt, im Zustand - so ließ Ronfort durchblicken - offenbar noch besser als die anderen im Louvre, Getty Museum und V&A verwahrten achtarmigen Modelle.

Exakt 365 Tage nach seinem Auktionsdebüt steht der Luster am 13. Oktober 2010 im Dorotheum im Angebot. Seit Jahrzehnten, erklärt Ludwigstorff, war kein vergleichbares und vor allem mit einer Expertise ausgestattetes Boulle-Objekt auf dem Markt. Zuletzt wechselte eine zugeschriebene Lusterversion 2006 bei Sotheby's in London für umgerechnet 1,14 Millionen Euro den Besitzer. Der aktuelle Schätzpreis beläuft sich auf 600.000 bis 800.000 Euro. Wie viel die für den deutschen Einbringer lukrative Entdeckung wirklich bringen wird, hängt von den Budgets einer Handvoll Museumskuratoren und finanzkräftiger Privatsammler ab. (Olga Kronsteiner / DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.9.2010)