Wie kann Ausstellungsarchitektur für ein zehntägiges Festival aussehen? Ästhetischer Paradigmenwechsel in Karton: billig, umweltfreundlich, federleicht

Foto: papplab

Linz - Willkommen auf der größten Ars Electronica aller Zeiten! "Wir haben vom Keller bis zum Dachboden alles bespielt. Sie brauchen etwa sechs Stunden um durchzugehen. Und Obelschenkelraft. Denn es geht treppauf-treppab." Gerfried Stockers Begrüßung ist kurz, denn die Wege sind lang. Das Werksareal der ehemaligen Tabakfabrik ist groß, sehr groß. Allein der 227 m lange Haupttrakt der so genannten Tschickbude hat 30.000 Quadratmeter Nutzfläche.

Das bedeutet zwar Beinarbeit, hat aber den Vorteil, das die Ars Electronica sich heuer im wesentlichen auf ein Areal konzentriert und nur wenige "Satelliten" hat. Das enorme Platzangebot bekommt vielen Installationen gut; insbesondere jenen der Cyberarts, der Prix Ars Electronica-Ausstellung, (sonst stets im OK). Statt von Raumgrenzen beengt, entfalten sich die Installationen, entspinnen bisweilen einen Dialog mit den Räumen des Industriedenkmals der 1930er Jahre. Das illuminierte Polyhedron von Félix Luque Sánchez ("The Discovery") etwa, das die Rolle der Technologie in unserem kollektiven Unbewussten thematisiert und in den nüchternen Hallen tatsächlich wie ein gerade gelandes Raumschiff vor sich hinblinkt. Freilich sind die Hallen und Magazine bisweilen so groß, dass man an Arbeiten auch einfach vorbeilaufen - oder besser vorbeihören - kann.

Ein Risiko mit dem Soundkünstler Kalle Laar in "wherever you go I'll be already there" rechnet. Denn seine Installation aus Geräuschen, die man bewusst oder unbewusst wahrnimmt und ohnehin am Rand der Hörschwelle liegen, werden mit winzigen Lautsprechern im Raum verstreut.

Rasten statt hasten ist also die Devise bei der Besichtigung und so hat man nach zwei Stunden am Gelände mit dem Flair eines Uni-Campus zwar bei weitem noch nicht alles gesehen und mehrfach die Orientierung verloren, aber viel erlebt, zum Beispiel auf den Ally-Mc-Beal-Unisex-Toiletten, die frau daran erinnern, warum sie es nicht mögen, wenn man im Stehen pinkelt. 

Und das führt irgendwie - wieso auch immer - zum Festivalthema "Repair" zurück.

Das sofort die rhetorische Frage "Sind wir noch zu retten" hinterherschickt. Rhetorisch, deswegen, weil wenn man nicht mit Ja antwortet, würde der ganze Aufwand ja gar nicht lohnen. Das mit der Rettung der Welt und so. 

Oder zum Beispiel der Kraftakt, den es bedeutet, 2010 eben nicht in den angestammten Häusern der Ars zu präsentieren, sondern in einer Fabrik. Die wurde nämlich nicht aus praktischen, sondern aus inhaltlichen Gründen hierher verlegt. Denn die stillgelegten Produktionsgebäude schließen perfekt an das ganz im Zeichen der Krisen von Ökologie, Politik und eben auch Ökonomie stehende Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft an. Krisenbedingt wurde die Zigarettenfabrikation im September vergangenen Jahres beendet. 270 Mitarbeiter verloren ihren Job. Die Stadt Linz kaufte das Areal und beauftragte die Linzer Uni mit einer Studie zu ihrer künftigen Nutzung.

Mit 15 Sekunden Nachhall hat man hier auch nicht gerade optimale akustische Vorraussetzungen. Ein Defizit, das aber dafür andere Hörerlebnisse bietet. Hier existieren keine perfekten Bedingungen für die Präsentation technikbasierter Kunst, aber genau das ist der springende Punkt. Man muss sich mit den Bedingungen arrangieren, nach Lösungen, nach neuen Lösungen suchen. Ganz nach dem Motto Repair! So sind zum Beispiel auch die komplette Ausstellungsarchitektur sowie Tische und Sessel aus Karton. Federleicht.  (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9.2010)