Läremschutzwandbau - hier auf der A6

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Österreich, befürchtet der Architekturkritiker und Kulturpublizist Jan Tabor, riskiere seinen Ruf als Touristendestination. Denn entlang der An- und Durchfahrtswege, an Autobahnen, Schnellstraßen und Bahnstrecken, sei die Aussicht auf die "Landschaft, die dem Land seinen Ruf gegeben hat", zunehmend durch Lärmschutzwände verstellt. Mehr als in Nachbarstaaten: "Bald wird es heißen, dass Deutschland ein im Vergleich schönes Land ist."

Kein Blick also auf Äcker und Dome - stattdessen auf genageltes Holz, Beton oder semitransparenten Kunststoff mit Vogelsymbolen. Oder gar auf "Landschaftssurrogate", wie Tabor grafische Darstellungen etwa von Weintrauben nennt, die mancherorts, wo eine Autobahn Weinberge durchquert, auf Lärmschutzinnenwänden prangen. Oder von Umrissen charakteristischer Denkmäler, die man früher, als Autotouren noch mit "Ausflug und Landschaftgenießen" assoziiert wurden, im Vorbeifahren betrachten konnte.

Markus Hoffmann vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien nennt als Ursache für die um sich greifende Vernagelung "Konfliktscheue" in der Siedlungs- und Verkehrswegeplanung. Um Streits zwischen Häuslbauern und Autofahrern über die zunehmende Verkehrsbelastung und den damit verbundenen Lärm aus dem Weg zu gehen, böten sich als "Kompromiss" schallreduzierende Maßnahmen an: Lärmschutzfenster oder eben -wände. Denn sinnvolle Alternativen kämen relativ teuer: Flüsterbeton etwa, der jedoch "eine kürzere Lebensdauer als andere Straßenbelege" habe.

Architekturkritiker Tabor sieht über die Streitvermeidung hinaus weitere Gründe für die Lärmschutzwände-Inflation. Nach der Schaffung gesetzlicher Grundlagen sowie der Spezialisierung einer Reihe von Firmen auf die Produktion der Schallabhaltevorrichtungen habe sich die Angelegenheit zu einem "Selbstläufer" entwickelt.

Die politischen und gesellschaftlichen Mechanismen seien dabei die gleichen "wie bei der Bachverbauung zur Bekämpfung der sauren Wiesen in den 60er-Jahren". Einmal gestartet, werde das Programm "weiter fortgesetzt, auch wenn es - wie im Fall der Bachverbauung durch die Landschaftsversiegelung - schlimmere Hochwasserfolgen als davor nach sich ziehe. Oder im Fall der Lärmschutzwände "die umfassende Korridorisierung des Raums". (Irene Brickner / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9.2010)