Inhalte des ballesterer  Nr. 55 (September 2010)
Ab sofort österreichweit im Zeitschriftenhandel!

Schwerpunkt: Repression

Anstoß
Österreichische Pyro-Lösung

Kameras, Gefährderansprachen und Verbote
In der Sicherheitszone Fußball werden die Freiräume knapp

»Sanktionen werden einfach hingenommen«
Rechtsanwalt Mathias Kapferer rät Fans zur Beschwerde

Angezogene Repressionsschrauben
Verschärfte Regeln für Stadionverbote in der Schweiz

Außerdem im neuen ballesterer:

Mehr als ein Trainer
Thomas Schaaf über Marko Arnautovic und sein Herzensprojekt Werder

»You'll never smoke alone«
Christianias Kicker wollen nicht mehr gegen die Polizei spielen

Der kleine König des Parks
Weltmeister Roberto Rivellino im Interview

Ein neues Heim für das Wunderteam?
Die Wohnung von Hugo Meisl könnte zum Museum werden

Wenn der Ruf des Berges die Gesänge übertönt
Hüttenwirt Wolfgang Feiersinger hat mit Fußball abgeschlossen

»Ich hätte gern einen Kühbauer im Kader«
Didi Kühbauer über brave Spieler und junge Großverdiener

Violett-Weißer Traum
Die neue Austria Klagenfurt will an alte Traditionen anknüpfen

Partyoten und neue Deutsche
Der neue deutsche Patriotismus soll vieles sein, nur nicht politisch

Unendliche Stadiongeschichte
1860-München-Fans wollen zurück an die Grünwalder Straße

25 Jahre Heysel-Tragödie
Das Stadion ist aus dem Brüsseler Stadtbild fast verschwunden

Dr. Pennwiesers Notfallambulanz
Die Prostataentzündung

Sinnreich
»Bagman« Fedor Radman und die australische WM-Bewerbung

Groundhopping
Wodka im Wald und Luxus in Elche

 

Foto: Ballesterer

Sebastian Kiss: "Früher hast du gezündelt, und dann eine Verwaltungsstrafe von 200 bis 300 Euro gekriegt. Du hast gezahlt, und dann war's erledigt. Jetzt kommen immer öfter Ankündigungen von gerichtlichen Verfahren."

Foto: Benjamin Stollenberg

Mit der Verschärfung des Pyrotechnikgesetzes wollte Innenministerin Maria Fekter Anfang des Jahres bengalische Feuer aus den österreichischen Fußballstadien verbannen. Doch in der organisierten Fanszene formierte sich ein breiter, kurvenübergreifender Widerstand gegen das Gesetz. Statt weniger brannten in der Frühjahrssaison von Neusiedl bis Schwarzach wohl so viele Fackeln wie noch nie in den heimischen Stadien. Die Initiative »Pyrotechnik ist kein Verbrechen« sorgte auch außerhalb der Stadien für eine lebhafte Diskussion und eine breite Solidarisierung, der sich zuletzt auch einer der ursprünglich schärfsten Kritiker anschloss: Bundesliga-Vorstand Georg Pangl. Seit Anpfiff der aktuellen Saison darf dank einer Ausnahmebestimmung im verschärften Pyrogesetz in Österreichs Stadien erstmals seit 1974 legal gezündelt werden. Der Ballesterer sprach mit Sebastian Kiss und Thomas Lanz, beide sind aktive Mitglieder der Initiative und der Ultras Rapid.

ballesterer: Habt ihr den Kampf um die Pyrotechnik dank der Ausnahmeregelungen nach einem halben Jahr Kampagne schon gewonnen?

SEBASTIAN KISS: Ich würde nicht sagen, dass wir schon gewonnen haben. Aber wenn wir erlaubt zündeln und keine Strafen mehr kriegen, ist es zumindest schon ein Erfolg. Es stellt sich natürlich die Frage, was passiert, wenn die Behörde einmal keine Bewilligung erteilt. Deshalb wollen wir jetzt auf so etwas wie einen Dauerauftrag, also eine längerfristige Abmachung, hinarbeiten. Außerdem gibt es große Unterschiede bei den Vereinen. Bei Rapid hat es bis jetzt problemlos funktioniert, aber für andere Kurven ist es mitunter schwieriger: Die Rieder haben angesucht und die Genehmigung nicht bekommen, weil auf den Fackeln »Nur für Seenotsignale« gestanden ist und der Behördenvertreter gesagt hat, dass keine Seenot vorliegt. Obwohl das die sichersten und teuersten Fackeln sind, ein Pyrotechnik-Experte hat uns die ausdrücklich empfohlen.

THOMAS LANZ: Davon abgesehen ist die Ausnahmeregelung keine Ideallösung. Wir müssen jetzt einen Bereich mit Absperrband abtrennen, das verleiht dem Ganzen etwas Gekünsteltes.

Wie könnte ein selbstbestimmtes Zündeln ausschauen?

Kiss: Wir hoffen, dass es sich in ein paar Monaten so einspielt, dass wir am Boden eine Markierung aufmalen können. In Innsbruck ist es sogar auswärts ohne Band gegangen. Dass vor und neben einem keiner stehen soll, ist eh klar, weil man ja eh weggeht, wenn irgendwo eine Fackel brennt.

Lanz: Praktisch hat sich also nicht wirklich etwas geändert, aber ideologisch schon ein bisschen - also wenn man als Ultra eine kritische Haltung gegenüber Institutionen hat und sich dann plötzlich mit der Polizei und dem Bundesliga-Vorstand trifft und nach einer Lösung sucht. Gleichzeitig muss man, wenn man ein Selbstbestimmungsrecht der Kurve verlangt, wohl auch einen Schritt in die Richtung machen. Denn wenn die Behörden den Rahmen ausschöpfen, den sie durch das Gesetz haben, dann besteht die Gefahr, dass die Lichter ausgehen.

Was waren bisher die wichtigsten Etappen der Kampagne?

Kiss: Sicher, dass alle Gruppen mitgemacht haben, auch kleinere und solche aus dem Ausland. Die beiden Treffen mit Pangl waren sicher auch wichtig. Nachdem wir beim ersten Treffen ein bisschen aneinandergeraten sind, hat es sich ziemlich gut entwickelt, und jetzt sagt er, dass er so ein Vertrauen in uns hat.

Lanz: Zentral war auch das Treffen mit den anderen Gruppen im Juni in Linz, um einen Konsens zu finden und ein paar Punkte auszuarbeiten, mit denen alle Kurven leben können. Also dass wir zum Beispiel keine Namenslisten derjenigen hergeben, die zündeln. Oder dass wir den Zeitpunkt selbst bestimmen, also nicht nur zu Spielbeginn und zu Beginn der zweiten Halbzeit.

Worauf führt ihr diesen Meinungswandel bei Pangl zurück? 

Kiss: Ich glaube, er hat einfach eine falsche Vorstellung von Fans gehabt. Er hat's nicht so recht glauben können, dass wir ihm mit guten Argumenten widersprechen. Und er hat sicher gemerkt, dass wir alles beobachten, dokumentieren und dann an die Öffentlichkeit tragen. Dann überlegt er sich zweimal, was er sagt.

Lanz: Geholfen hat auch, dass wir die EM und den ganzen Sicherheitswahn schon hinter uns haben. Wenn die in zwei Jahren wäre, würde es wahrscheinlich keinen Spielraum geben. Aber ganz verstanden habe ich noch nicht, warum Pangl so einlenkt, denn er könnte ja genauso wie seine Kollegen in Deutschland und Italien sagen: »Gesetz ist Gesetz, ihr seid alle Asoziale. Ihr könnt mich mal.«

Kiss: Stattdessen hat er sogar gesagt, dass er sich bei den skeptischeren Vereinsverantwortlichen für uns einsetzen wird. Zum Beispiel hätte es in Ried, nachdem er mit Manager Stefan Reiter geredet hat, mit der Ausnahmeregelung geklappt, nur hat dann die Behörde einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Wird es weitere Gespräche mit der Bundesliga geben?

Kiss: Pangl hat - abgesehen von der Pyrotechnik-Geschichte - Treffen in der Sommer- und Winterpause vorgeschlagen, um über unsere Anliegen zu sprechen. Das Einzige, was vonseiten der Bundesliga bisher noch nie mit Fans gemacht worden ist, ist reden. Insofern würde ich mich in der Winterpause noch einmal zusammensetzen und bilanzieren, wie das mit diesen Ausnahmeregeln funktioniert.

Lanz: Und schaden kann's auf keinen Fall, wenn man eine Gesprächsbasis mit der Bundesliga hat.

Das heißt, dieses Dogma, nicht mit Behörden oder Medien zu sprechen, das es über viele Jahre gegeben hat, wird aufgeweicht?

Lanz: Wir haben diese Frage lang diskutiert, aber wenn wir etwas erreichen wollen, können wir uns nicht zu Hause im Kammerl einsperren und nur ab und zu anonyme E-Mails schreiben. Aber natürlich stellt sich schon immer die Frage, worüber man mit wem spricht. Mit der Polizei reden hat wahrscheinlich weniger Sinn, denn die Entscheidungen fallen weiter oben.

Kiss: Letztens habe ich dem diensthabenden Polizisten beim Behördenrundgang die Hand geben müssen. Das ist mir schon schwer am Arsch gegangen. Das sind die Kompromisse, die man machen muss. Aber wenn wir dafür keine Strafen mehr bekommen, gebe ich ihm halt einmal in der Woche die Hand.

Lanz: Ja, das sind dann die kleinen Tragödien eines Ultras. Ist mir auch schon passiert, im Affekt.

Eure Initiative umschließt sowohl große als auch kleine Fangruppen. Inwiefern ist das wirklich eine gleichberechtigte Vertretung der österreichischen Kurven?

Kiss: Gleichberechtigt auf jeden Fall, weil jeder immer einbringen kann, was er will. Natürlich haben die großen Kurven mehr gemacht als die kleinen, aber das ist auch verständlich. Wenn du zu fünfzigst bist, ist das Zündeln schwieriger, wenn 50 Polizisten vorm Sektor warten, als wenn du mit 2.000 in Linz bist. Nur weil wir das ins Leben gerufen haben, heißt das aber nicht, dass wir bestimmen wollen. Im Gegenteil: Wir freuen uns über Inputs, es könnten sogar mehr kommen. Wir haben noch nie irgendetwas abgeschmettert. Eine Ausnahme ist da nur der Fall Deutschland, die wollten gleich das ganze Konzept eins zu eins übertragen. Da haben wir Nein gesagt, weil die Situation eine ganz andere ist.

Lanz: Wir kümmern uns auch darum, dass der Auswärtssektor in Hütteldorf eine Ausnahmeregelung bekommt und zündeln darf. Wir würden sogar Feuerlöscher reinstellen, was auch immer. Man muss auch den Auswärtsfans die gleichen Möglichkeiten bieten.

Zurück zum Gesetz: Seht ihr durch den breiten Interpretationsspielraum nicht auch eine Gefahr der Willkür?

Kiss: Ein schwammiges Konzept ist natürlich gefährlich. Wenn wir uns auf etwas einlassen, das auf dem Papier härter ist als in der Praxis, kann sich die Situation leicht ändern, wenn plötzlich ein anderer Verantwortlicher kommt. Dann können wir nicht sagen, dass wir nur zugestimmt haben, weil wir geglaubt haben, dass der zuständige Beamte immer leiwand zu uns ist. Daher haben wir auch diese ganze Namensliste abgelehnt.

Wie erklärt ihr euch, dass es eine extreme Verschärfung gibt und das dann nicht exekutiert wird?

Kiss: Na ja, wir leben in Österreich. Das ist ein medienwirksames Gesetz gewesen, sie haben etwas zur Scheinsicherheit des Landes beigetragen, und die Fekter hat wieder einmal ein Sicherheitsexempel statuieren können.

Lanz: Außerdem ist im Frühjahr nichts passiert, worauf die Medien oder die Innenministerin hätten anspringen können. Ich glaube an die These, dass dieses halbe Jahr jetzt eine Testphase gewesen ist. Und dass die Polizei im Sommer angezogen hätte, wenn wir diese Ausnahmeregelung nicht angenommen hätten. Auch mit Untersuchungen, Strafen sowieso.

Kiss: Da sind wir auch schon bei den anderen Bestimmungen des Gesetzes, die sehr zweifelhaft sind. Diese ganzen Durchsuchungsrechte und dass die Polizei alles mit Gewalt durchsetzen kann. Auch die Datenweitergabe an die Bundesliga ist problematisch.

Die Medien haben zuletzt großteils positiv über Pyrotechnik in den Stadien berichtet. Wie ist es nach der anfänglichen Skepsis zu diesem Meinungsumschwung gekommen?

Kiss: Wir haben gute, seriöse Sachen geschrieben, und die Medien haben das angenommen, vielleicht auch, weil die Fekter nicht so ein »Medienliebling« ist. Überhaupt ist dieses ganze Projekt von Anfang an viel besser gelaufen, als wir es uns erhofft hatten.

Und was sind die Schlüsse daraus?

Lanz: Dass wir alles machen können. Bei der nächsten Initiative geht's darum, dass wir die Polizei abschaffen wollen. (lacht)

Kiss: Da schreiben wir gerade an einem Konzept. (lacht) Ich ziehe noch gar keinen Schluss, weil es noch nicht vorbei ist. Aber ich weiß jetzt, dass man etwas bewegen kann, wenn man sich dahinterklemmt. Trotzdem gibt es noch einige große Fragezeichen, also zum Beispiel das Derby gegen die Austria und die Durchsetzung der Ausnahmeregelung bei den anderen Vereinen.

Wie geht ihr mit den vielen Anzeigen um? Allein in der letzten Saison hat es 320 Anzeigen wegen dem Pyrotechnikgesetz 2010 gegeben, 395 wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit und davor noch 196 Anzeigen wegen dem Pyrotechnikgesetz von 1974. 

Kiss: Früher hast du gezündelt, und dann eine Verwaltungsstrafe von 200 bis 300 Euro gekriegt. Du hast gezahlt, und dann war's erledigt. Jetzt kommen immer öfter Ankündigungen von gerichtlichen Verfahren.

Lanz: Ich glaube, dass die Staatsanwaltschaft sehr viel einfach liegen- oder fallenlässt. Wir machen immer Einsprüche. Unlängst haben wir bei einer Anzeige wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit geschrieben, dass es keine Gefährdung sein kann, denn die wäre ja jetzt durch diese Ausnahmeregelung genauso gegeben - im Prinzip stehe ich ja heute auf demselben Platz und halte dieselbe Fackel wie vorher.

Anzeigen werden also vermutlich häufig gegen unbekannte Täter gestellt und versanden dann.

Kiss: Genau, das war ja vor der Gesetzesänderung auch so. Bei der von Fekter groß inszenierten Statistik im Vorjahr waren rund 400 Übertretungen gegen das Pyrotechnikgesetz aufgelistet, da sind sicher nicht 400 Anzeigen gekommen. Angeblich haben sie diese Skigeschichten auch angezeigt, und das können sie nur gegen unbekannt machen, denn da kennen sie ja niemanden. Wenn in Kitzbühel 180 Fackeln brennen, haben wir schon die Hälfte.

Befürchtet ihr, dass die Zahlung einer Strafe als Schuldeingeständnis Mitgrund für ein Stadionverbot sein könnte?

Lanz: Die Frage habe ich mir noch nie gestellt. Denn wenn du nicht zahlst, kommt irgendwann der Exekutor. Aber wir beeinspruchen die Anzeigen schon, wenn auch oft nur die Höhe.

Kiss: Stadionverbote sind auch nicht die einzige Gefahr. Es gibt ja auch diese Meldepflichten. Ab und zu muss halt wer zu Spielbeginn wegen dieser Gefährderansprache auf der Polizei sein.

Wegen Pyrovergehen?

Lanz: Diese Gefährderdatei ist wirklich eine Sauerei. Angeblich schickt die Polizei vor jedem Match willkürlich Zettel aus. Komisch ist schon, dass letztens einer eine Meldeauflage hatte, der nicht vorbestraft ist. Er hat zwar jetzt ein Verfahren wegen dieser Westbahnhof-Geschichte, könnte dort aber auch freigesprochen werden. Trotzdem muss er hin. Das ist vielleicht gesetzlich gedeckt, aber sehr fragwürdig.

Kiss: Und so ein Eintrag kann auch abseits des Stadions Probleme verursachen. Ein Kollege wollte vor einigen Monaten seinen Bruder in England besuchen. Am Flughafen ist er länger befragt worden, ob er eine Fußballveranstaltung besuchen will und so Dinge. Ich kann mir auch vorstellen, dass das bei Verkehrskontrollen aufscheint. Wahrscheinlich arbeitet die Fekter schon daran, wo sie die Gefährderdatei noch verwenden kann.

Haltet ihre eine Änderung des Pyrogesetzes für möglich?

Kiss: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Innenministerium ein Gesetz erlässt und es wegen Fanprotesten nach einem halben Jahr wieder ändert. Ich bereue aber sehr, dass wir im Vorfeld dieser Novellierung nicht mehr gemacht haben. Wenn wir die Parlamentarier mit den ganzen Argumenten zugebombt hätten, hätte sich vielleicht etwas ändern lassen. Denn die haben sich ja alle keine Gedanken gemacht.

Lanz: Ich glaube nicht, dass wir's jetzt auf eine Gesetzesänderung anlegen sollten. Mir ist es, solange wir zündeln können und nicht bestraft werden, auch egal, ob's jetzt Gesetz ist oder nicht. Ich will keine Politiker kontaktieren und mit ins Boot holen. Da besteht die Gefahr, sich instrumentalisieren zu lassen. (Interview: Reinhard Krennhuber & Jakob Rosenberg)