Bereits Mitte der Neunziger Jahre von einem heute kaum mehr jemandem bekannten Browser namens "InternetWorks" erstmals eingesetzt, hat sich das Tabbed Browsing längst zum primären Mittel der Sortierung geöffneter Webseiten in der Online-Welt etabliert. Selbst der Langzeitverweigerer Internet Explorer hat ein entsprechendes Interface bereits vor einigen Jahren etabliert. Mit der zunehmenden Intensivierung der Web-Nutzung zeigen sich zunehmend aber auch die Beschränkungen dieses Ordnungsprinzips, verliert das Tabbed Browsing mit der Anzahl der geöffneten Seiten doch stark an Übersichtlichkeit.

Panorama

Eine Erkenntnis, die nicht sonderlich neu ist, entsprechend versuchen sich die diversen Browserhersteller immer öfter an alternativen Konzepten, um die neue Übersichtlichkeit über den Tab-Wust hereinbrechen zu lassen. Mit dem Firefox 4 will man denn auch beim Mozilla-Projekt einen eigenständigen Ansatz etablieren: "Firefox Panorama" nennt sich das ursprünglich unter dem Codenamen "Tab Candy" firmierende Feature, und soll nichts weniger als die logische Weiterentwicklung des Tabbed Browsings darstellen.

Testweise

Seit kurzem können sich experimentierfreudige NutzerInnen denn auch selbst von den Vorzügen - oder Fallstricken - dieses Konzepts überzeugen, seit der Beta 4 ist die neue Funktionalität in den Testversionen für Firefox 4 enthalten. Grund genug auf den folgenden Seiten mal einen etwas näheren Blick auf Umsetzung und Konzepte hinter der Mozilla-Lösung zu werfen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wer die neue Version startet, wird zunächst einmal kaum einen Unterschied zu früheren Firefox 4 Betas feststellen, bei näherer Betrachtung ist allerdings ein frischer Knopf am rechten Ende der Tab-Zeile hinzugekommen, der dann auch prompt für die Aktivierung der Panorama-Ansicht zuständig ist. Alternativ dazu kann der Überblicksmodus auch über eine Tastenkombination aufgerufen werden, unter Windows und Linux ist das "Strg+Leertaste", für Mac-NutzerInnen gilt es "Option+Leertaste" zu kombinieren.

Aufruf

Einmal gestartet, verwandelt der Panorama-Modus den Browser zunächst einmal in eine große graue Fläche, konzeptionell kann man sich darunter so etwas wie Leinwand für den eigenen Web-Alltag vorstellen. Das klassische Interface tritt dabei vollkommen in den Hintergrund, URL-Zeile oder Steuerungselemente sucht man also vergeblich.

Video

Eine Transformation, die durchaus dazu geeignet ist, uninformierte NutzerInnen leicht verwirrt zurück zu lassen, insofern hat man sich bei Mozilla dazu entschlossen, ein kurzes Einführungsvideo auf der Panorama-Oberfläche zu platzieren. Dieses erklärt die absoluten Basics des Konzepts, kann nach der ersten Betrachtung aber getrost entfernt werden, um Platz für wichtigere Dinge zu schaffen: Die Organisation der offenen Tabs.

Screenshot: Andreas Proschofsky

So werden an dieser Stelle denn auch gleich alle beim Aufruf von "Panorama" geöffneten Seiten in Form einer Miniaturansicht präsentiert. Diese Thumbnails werden zumindest anfänglich "live" aktualisiert, bieten also einen realen Blick auf die dahinter steckende Webpage. Garniert wird das verkleinerte Abbild mit dem zugehörigen Favicon in der linken oberen Fläche.

Gruppierung

Der weiße Rahmen rund um die Mini-Bilder symbolisiert die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zunächst sind also einmal alle Seiten im selben Zusammenhang zu finden. Spannend wird das Ganze freilich erst durch die Sortierungsmöglichkeiten: Durch das Zeichnen eines Rechtecks auf eine bislang nicht belegte Stelle der "Leinwand" wird eine neue Gruppe erstellt, per Drag&Drop können dann einzelne Seiten nach Belieben verschoben werden.

Ad-Hoc

Ein Vorgang der durchaus intuitiv umgesetzt ist, wer will kann es aber noch einfacher haben: Seiten können auch direkt auf den Hintergrund gelegt werden, befinden sich dabei zwei Webpages an der selben Stelle wird automatisch eine neue Gruppe erstellt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ein Klick auf den Thumbnail einer Seite kehrt dann zur klassischen Browser-Ansicht zurück - mit dem zugehörigen Tab im Vordergrund versteht sich. Allerdings werden nun nur mehr jene Tabs angezeigt, die sich auch tatsächlich in der selben Gruppe befinden. Auf diese Weise wird im aktuellen Kontext Nicht-Relevantes ausgeblendet - was wiederum die Konzentration auf das wirklich Wichtige vereinfacht.

Skalierung

Aber zurück zur Panorama-Ansicht: Gruppen lassen sich hier nach Belieben vergrößern und verkleinern, die Miniaturbilder skalieren dabei automatisch mit. Auf diese Weise können die NutzerInnen eine Gewichtung vornehmen, so dass etwa die zentral benutzten Seiten auch rein optisch im Vordergrund stehen, während Webpages von sekundärer Relevanz nur wenig Platz verbrauchen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wird eine Gruppe dermaßen verkleinert, dass die Thumbnails keinen brauchbaren  Überblick mehr bieten könnten, wird das Ganze automatisch als Stapel dargestellt. Dabei ist zunächst nur eine der enthaltenen Seiten zu erkennen, über ein kleines Icon unter dem Stapel lässt sich aber ein semitransparentes Overlay aufrufen, das den vollständigen Inhalt einblendet. 

Anwendungsbeispiel

In der realen Nutzung erweist sich dieses Konzept als durchaus hilfreich: So kann man beispielsweise all jene Seiten, die später noch einmal gelesen werden sollten, zu einem Stapel zusammenfassen. Auf diese Weise bleiben sie im Hintergrund erhalten, ohne aber stundenlang sinnlos - und der Übersichtlichkeit äußerst abträglich - in der Tab-Zeile herumzuliegen. Selbst im "Panorama" nimmt ein solcher Stapel ja vergleichsweise relativ wenig Platz ein.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Über das Icon rechts oben können ganze Gruppen auf einmal geschlossen werden, wer will kann aber auch einzelne Seiten gezielt entfernen. Umgekehrt befindet sich im linken unteren Eck jeder Gruppe ein Icon mit dem ein frischer Tab geöffnet werden kann. Ein Schritt bei dem der Firefox sinnvollerweise gleich automatisch auf die Browser-Ansicht wechselt.

Namensgebung

Wer will kann Gruppen mit einem eindeutigen Namen versehen, ein Schritt, der durchaus ratsam ist, ist er doch an anderer Stelle äußerst hilfreich: So können Tabs auch in der gewohnten Browseransicht über das Kontextmenü gezielt in eine andere Gruppe verschoben werden - ohne die Hilfe der grafischen Aufbereitung der Panorama-Ansicht ist ein guter Name hier Goldes wert.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Dass Firefox Panorama trotz des frühen Entwicklungsstands bereits recht durchdacht wirkt, ist kein Zufall sondern Ergebnis des Umstands, dass man im Vorfeld ausführlich an den zugrunde liegenden Konzepten gefeilt hat. So resultiert einer der zentralen Grundgedanken aus der Erkenntnis, dass räumliches Denken essentiell zum raschen Auffinden von Informationen ist, wie Entwickler Aza Raskin in einem Blog-Eintrag erläutert

Räumlich

Das menschliche Gehirn finde Dinge erheblich leichter, wenn sie sich immer an der selben Stelle befinden, ein Umstand, dessen Ignorieren eines der zentralen Probleme bei Interface-Ansätzen wie Apples Expose darstelle, wie Raskin argumentiert. Da hier die Platzierung nicht statisch ist, muss das Gehirn laufend umdenken, was das Auffinden deutlich erschwert. Bei Panorama bleibe die Positionierung hingegen immer so wie von den NutzerInnen festgelegt.

Direkt

Zudem sei es wichtig die nötige Interaktion der NutzerInnen zu minimieren, insofern achte "Panorama" auf eine "flache" Repräsentation, alle Seiten sollen möglichst direkt im Blickfeld und mit einem Klick zugriffsbereit sein. Stapel stellen dabei natürlich die konzeptionelle Ausnahme für weniger rasch benötigte Informationen dar.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zudem sollte sich natürlich alles recht flott und "physisch" anfühlen, ein Versprechen, das die aktuelle Version allerdings erst teilweise erfüllt. So erfreut zwar, dass die einzelnen Elemente am Panorama automatisch Überlagerungen verhindern, in Performancefragen gibt es hingegen noch so manches Optimierungspotential. Entwickelt ist das Ganze übrigens vollständig in Javascript, HTML und CSS - Mozilla setzt also auch bei den eigenen Browser-Funktionen zunehmend auf aktuelle Webstandards.

Preview

Darauf hingewiesen sei, dass es sich bei der aktuellen Ausgabe von Panorama natürlich erst um eine frühe Vorschau handelt, bis zur fertigen Version wird es wohl noch diverse Anpassungen und Bugfixes geben. So bleibt zu hoffen, dass manch derzeit schmerzlich vermisstes Feature noch nachgeliefert wird, etwa die Möglichkeit mehrere Seiten auf einmal zu verschieben. Wer das Ganze sinnvoll ausprobieren will, sollte übrigens darauf achten die offenen Tabs beim Beenden des Firefox automatisch abzuspeichern -  nur so bleibt die Sortierung am Panorama dauerhaft erhalten.

Plus

So erweist sich Firefox Panorama bereits jetzt als äußerst verlockendes Konzept, von dem vor allem jene profitieren, die das Web besonders intensiv nutzen. Die Bedienung ist einfach, das Konzept überzeugend, die Umsetzung - trotz einiger derzeit noch unübersehbarer Ecken und Kanten - durchaus gelungen. Bleibt noch zu hoffen, dass sich durch die relativ späte Integration eines solch zentralen Features die Auslieferung von Firefox 4 nicht verzögert - und sich schon bald die breite Masse der NutzerInnen an der Nützlichkeit der "Panorama"-Funktion erfreuen kann. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 05.09.10)

Screenshot: Andreas Proschofsky