Dreimal am Tag bringen Militärflugzeuge die Leichen der Gefallenen aus Afghanistan nach Dover im US-Staat Delaware.

Foto: Frank Herrmann

Es gibt keine Kapelle, keine Hymne. Ein Stromgenerator lärmt, im Hintergrund heult ein Triebwerk. Langsam marschiert ein Trupp Soldaten, die Hände in weißen Handschuhen, über die Rollbahn auf einen Jumbo-Jet zu. Dort steht ein weißer Sarg bereit, eingehüllt in ein Sternenbanner.

Ein Kaplan spricht ein Gebet, die Soldaten senken die Köpfe. Dann tragen sie den Sarg ans Ende einer Hebebühne, die ihn zu Boden befördert. Unten wartet ein Wagen, wieder greifen behandschuhte Hände zu, schließlich rollt das "Transfermobil" davon in die Leichenhalle. Routine auf der Dover Air Force Base.

Es ist ein ganz normaler Tag Ende August, kurz bevor Präsident Barack Obama am Dienstag Abend in Washington das Ende der Kampfoperationen im Irak verkündet (siehe "Zitiert" rechts). Dreimal am Tag landen Frachtmaschinen mit toten Soldaten aus Afghanistan auf der Luftwaffenbasis am Atlantik, morgens, nachmittags und abends. Die erste hat zwei Leichen an Bord. Als Ort des Todes ist "Operation Enduring Freedom" in den begleitenden Dreizeilern des Pentagon eingetragen.

Leichen-Kühlschränke

Genau genommen sind es keine Särge, in denen die Leichen liegen. Es sind eisgekühlte Metallkisten, die man später zurückschickt nach Kabul oder Kandahar, um sie erneut zu verwenden. In Dover warten die Pathologen. Vor der Obduktion untersuchen sie die leblosen Körper auf eventuell noch nicht detonierten Sprengstoff, in einem Raum, dessen extradicke Wände eine mittelschwere Explosion aushalten können. Anhand von Fingerabdrücken, DNA-Proben oder Röntgenaufnahmen des Gebisses wird die Identität bestätigt. Manchmal sind die Toten so entstellt, dass sie erst zusammengeflickt werden müssen, bevor man sie zum Begräbnis im Heimatort in einen Sarg legen kann. "Mitunter dauert es Wochen", sagt Rusty Ridley, ein Unterleutnant.

Steve Ruark kennt das traurige Procedere, mehr als 120 Arbeitstage hat der Fotograf der Agentur Associated Press (AP) schon in Dover verbracht. Er hat gelernt, in den offiziellen Mitteilungen zwischen den Zeilen zu lesen. "Wenn sie offen lassen, wie einer ums Leben kam, kann es auch Selbstmord gewesen sein." Im April 2009, als Ruark anfing, die flaggengeschmückten Metallkisten zu fotografieren, war es noch ein mühsam erstrittener Sieg über die Geheimniskrämer. 18 Jahre hatten Presseagenturen und Fernsehsender dafür gekämpft.

Bushs Bilderverbot

Es sollte endlich fallen, das Verbot, das der alte George Bush im Golfkrieg angeordnet hatte. Bush wollte vermeiden, was 1989 nach der US-Invasion in Panama auf parallel eingespielten Kamerabildern zu sehen war: hier die Ankunft der Särge in Dover, dort der bei einer Pressekonferenz scherzende Präsident. Unter Bill Clinton und George W. Bush blieb es bei dem Bann. Erst Barack Obama ließ die Medien herein.

Heute ist es Alltag für Ruark, so makaber das klingt. Oft ist er der einzige Reporter, der auf der Rollbahn wartet. Als Obama die Tore öffnen ließ, kamen noch 35. "Inzwischen fehlt der Neuigkeitswert", sagt der Fotograf. AP schickt ihn trotzdem von Baltimore herüber nach Dover, sobald der Stützpunkt einen "dignified transfer" avisiert, eine "würdevolle Überführung". Von jeder einzelnen soll es ein Foto geben, auch wenn nur die Heimatzeitung des Gefallenen es druckt. Vorausgesetzt, die Hinterbliebenen sind einverstanden. Fast alle stimmen zu.

Mal schweigen die versammelten Familien beim Anblick der weißen Kisten, mal brechen sich Schmerz und Wut lautstark Bahn - die ganze Bandbreite an Emotionen hat Ruark schon erlebt. Gesehen hat er die Angehörigen nie. Der Kleinbus mit den dunklen Scheiben, der sie aufs Rollfeld fährt, kommt so zum Stehen, dass er die rechts aussteigenden Trauernden von den links platzierten Reportern trennt wie eine Wand. Das beklemmende Ritual hat sich eingespielt. Und allein das Tempo, mit dem die Infrastruktur hier wächst, spiegelt die Last der Kriege in Übersee.

Die neue Leichenhalle ist die größte der Welt. Sie wurde im Jahr 2003 eingeweiht, dem Jahr des US-Einmarschs im Irak. Seit Mai ist ein kleines Hotel in Bau, wo die Angehörigen für sich sein können, wenn sie hier übernachten wollen. Das Geld dafür kommt von der Fisher House Foundation. Obama hatte der Stiftung zuvor eine Viertelmillion Dollar aus der Prämie, die er für den Friedensnobelpreis bekam, gespendet. (Frank Herrmann aus Dover/DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2010)