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Markus Bernath sprach mit dem Vizevorsitzenden der Sozialdemokraten im Europaparlament.

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STANDARD: Ihre Parteifreunde in der Türkei von der sozialdemokratischen Volkspartei CHP ziehen mit einem kategorischen Nein zur Verfassungsänderung derzeit durch das Land. Sie sind alles andere als glücklich darüber. Warum?

Swoboda:Weil ich eine Reform der Verfassung für ein absolutes Muss halte. Einige Elemente gehen auch in die richtige Richtung. Gleichzeitig lässt sich nicht leugnen, dass die türkische Regierung Hintergedanken hat, wenn sie mit der Verfassungsänderung versucht, den Einfluss des Parlaments auf die Besetzung der höchsten Gerichte zu vergrößern. Ich hätte mir gewünscht, dass die CHP rechtzeitig Alternativen entwickelt und einen Konsens mit der Regierung von Premierminister Tayyip Erdogan sucht. Das hätte natürlich vorausgesetzt, dass ein solcher Konsens dort auch gewünscht worden wäre.

STANDARD: Das Hauptargument der CHP gegen die Verfassungsänderung lautet: Die Regierung bereitet eine "zivile Diktatur" vor.

Swoboda: Das ist aus meiner Sicht nicht haltbar. Wenn man die Demokratie in der Türkei zu stärken versucht, indem die Rolle des Militärs zurückgedrängt wird, dann kann das keine "zivile Diktatur" sein. Die Frage ist, welche Alternativen die Opposition entwickelt.

STANDARD: Sind Erdogan und seine Gefolgsleute also nach wie vor die besseren Europäer?

Swoboda:Sie sind es insofern, als sie die Annäherung an Europa wollen, das Land an demokratische Standards heranführen, schwache, aber immerhin doch Versuche unternehmen, zu einem Ausgleich mit Armenien oder mit den Kurden zu gelangen. Aus meiner Sicht sollte die Opposition versuchen, sie dabei anzutreiben, statt zu blockieren. Für Erdogan und seine Gefolgsleute ist der EU-Beitritt nicht unbedingt das Hauptziel, sondern ein Instrument, um andere Veränderungen in der Türkei voranzutreiben.

STANDARD: Das wären welche?

Swoboda: Es geht vor allem um eine neue Außenpolitik der Türkei, eine stärkere Rolle des Landes in der Region des Nahen und Mittleren Ostens. Die Türkei unter Erdogan wird ein moderat islamischer nationalistischer Staat. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2010)