"Die ÖVP hat den falschen Blickwinkel. Aber ich würde den fast allen Parteien attestieren", kritisiert Schifko die österreichische Bildungspolitik. 

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Der Jus-Student hält flächendeckende Zugangsbeschränkungen für sinnvoll.

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"Uns wird es nach den nächsten Wahlen auch noch geben und Sigi Maurer kann uns nicht ignorieren und wenn sie es tut, dann wird es eher zu ihrem Schaden sein", sagt Schifko zur derzeitigen ÖH-Vorsitzenden.

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Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) betreibt nur "Symptombekämpfung" an den Unis, meint der neue Obmann der AktionsGemeinschaft (AG), der ÖVP-nahen Fraktion in der Österreichischen Hochschülerschaft. Warum es einen langfristigen Finanzierungsplan für den Hochschulsektor braucht und sich der freie Hochschulzugang überholt hat, erklärt er im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Die AG sagt immer wieder, dass sie sich nicht als gesellschaftspolitische Organisation sieht, sondern das Service für die Studierenden verbessern will. Sehen Sie das auch so?

Schifko: Grundsätzlich habe ich überhaupt kein Problem mit Gesellschaftspolitik. Als Studentenfraktion macht es mehr Sinn, direkt vor Ort Service zu bieten und bildungspolitische Probleme anzugehen, als sich zu den großen Problemen der Welt zu äußern. Wir sind deshalb gegen diese Art von Gesellschaftspolitik, die nichts mit den Unis, mit den Studenten, mit dem Leben von jungen Menschen zu tun hat.

derStandard.at: Was wären Themen, die nicht reinpassen?

Schifko: Das sind so klassische 68er-Themen wie die Weltrevolution. Da gibt es ein plastisches Beispiel mit dem Coca-Bauer in Kolumbien. Dem geht es auch sicher nicht gut, aber es hilft ihm nicht, wenn die Bundesvertretung der ÖH eine Resolution beschließt, in der sie festlegt, dass wir einen Brief schreiben, in dem steht, dass das besser werden soll.

Es gibt Jugendparteien, die sich um allgemeine Themen kümmern, es gibt zig NGOs, warum müssen sich auch noch die ÖH-Fraktionen, die eigentlich für die Studenten etwas tun sollten, mit diesen Themen beschäftigen?

derStandard.at: Auf der Homepage der AG Graz, in der Sie früher engagiert waren, gibt es mehrere Zitate, die sich vor allem mit dem Kommunismus beschäftigen. Eines davon: "Kommunisten sind Leute, die sich einbilden, sie hätten eine unglückliche Kindheit gehabt." Definiert sich die AG darüber, dass sie nicht links ist?

Schifko: Nein. Das stammt noch aus dem Wahlkampf. Da ging es eher darum, anhand von markigen Sprüchen zu zeigen, was wir nicht sind. Ich halte es aber generell für ein Problem, wenn man sich über das definiert, was man nicht ist. Wir sind die Fraktion, die parteipolitisch relativ unabhängig ist. Alle anderen sind gleich. VSStÖ, Gras, KSV und Fachschaftsliste haben eine klassisch linke Tendenz, indem wie sie die Uni sehen. Sie sehen es als die Verpflichtung des Staates, allen Menschen, die studieren, alles zu geben. Die Menschen sollen dafür nichts leisten müssen.

Wir sind für die Selbstverantwortung der Studenten. Ich würde uns als bürgerlich-liberal bezeichnen. Wir grenzen uns sicher nicht nur gegen links ab. Wir grenzen uns auch ganz klar gegen rechts ab.

derStandard.at: Sie sagen, dass die AG eher parteiunabhängig ist, man ordnet sie aber der ÖVP zu.

Schifko:Wir haben kein Problem damit, uns der ÖVP kritisch gegenüber zu äußern, wir haben aber natürlich ein Naheverhältnis, das stimmt.

derStandard.at: Bei welchen Themen hat sich die AG bisher gegen die ÖVP-Meinung quergestellt?

Schifko: Wir sind ganz klar dagegen, dass die ÖVP, wie die anderen Parteien leider auch, den Studenten und den Unis nicht den Stellenwert einräumt, den sie verdient hätten. Studenten sind ein ganz wichtiger Teil der zukünftigen Gesellschaft. Die ÖVP hat den falschen Blickwinkel. Aber ich würde den fast allen Parteien attestieren. Ich glaube, Studenten haben wenig Lobby und innerhalb der Parteien eigentlich gar keine.

derStandard.at: Sie haben in einem Interview gesagt, dass "alle Leute, die studieren wollen, ihre Befähigung unter Beweis stellen müssen". Was kann man sich darunter vorstellen? Ist die AG jetzt für flächendeckende Zugangsbeschränkungen?

Schifko: Wenn Zugangsbeschränkungen, dann würde ich sie deshalb flächendeckend für sinnvoll halten, weil die Beschränkungen einzelner Studienrichtungen dazu führt, dass andere Studien überlaufen sind. In Graz gibt es da ein schönes Beispiel: Du machst die Medizin zu, dann wollen alle Psychologie, Molekularbiologie, Pharmazie studieren. Einzelne Sachen zu beschränken bringt meiner Meinung nach wenig.

derStandard.at: Auf der Publizistik hat man gesehen, dass es jetzt weniger Bewerbungen gab, als man für den Zugangstest gebraucht hätte.

Schifko: Genau. So blöd es klingt, aber offensichtlich wirkt das Faktum, dass es eine Prüfung gibt. Das lässt die Leute überlegen, ob sie das Studium wirklich machen wollen.

Wenn ich mich vorher mit meinem Studium auseinandersetze, komme ich einfach drauf, ob es mir gefällt oder nicht. Da muss man in Österreich ansetzen. Mit Befähigung meine ich gar nicht so sehr, dass die Leute einen Test machen müssen. Sie sollen vor Studienbeginn erfahren, worum es in den verschiedenen Studien geht. Es gibt viele Studienrichtungen, wo erst durch Laborplätze und durch die Kurse klar wird, worum es geht. Wenn man dann nach drei oder vier Semestern merkt, dass einem das nicht taugt, dann hat man einerseits für sich selbst die Zeit nicht optimal genutzt. Andererseits hat man den Staat Geld gekostet, Laborplätze weggenommen.

derStandard.at: Sollte nicht eigentlich die Matura die Befähigung zu einem Studium sein?

Schifko: Meiner Meinung nach ist die Matura entwertet worden. Vor dreißig, vierzig Jahren war die Matura zu schaffen noch wirklich was. Die schafft eh schon fast jeder. Das ist jetzt nicht negativ gemeint, aber die Matura an sich hat viel von ihrem Herausforderungsgrad verloren.

Das wichtigste wäre, dass es vorher flächendeckend Information gibt. Man sollte in den oberen Klassen von AHS und BHS usw. ansetzen und verpflichtende Vorbereitungsstunden einführen. Dort sollen die verschiedenen Studien, Unis und FHs präsentiert werden. Damit die Leute wirklich eine Ahnung haben. Da gab es viele Initiativen vom Ministerium, die sind aber alle im Sand verlaufen. Das bringt nichts, es bringt nur etwas, wenn man viel Geld investiert.

derStandard.at: Rektorenchef Sünkel hat einen "Marshallplan" für die Unis gefordert. Ist das ein sinnvoller Vorschlag?

Schifko: In Österreich müsste sich die gesamte politische Gesellschaft einmal auf etwas einigen, was wirklich lange Bestand hat. Im gesamten Hochschulbereich ist das Problem, dass immer nur kurzfristig Dinge geändert werden. Ich glaube, damit man einen Sektor generell reformieren kann, brauchst du einen Plan über zehn, zwanzig Jahre. Wenn es eine Wirtschaftskrise gibt, muss man sich trotzdem an diesen Plan halten. Es steht so schön im Regierungsprogramm: Wir wollen 2020 zwei Prozent des BIP in Bildung investieren. Aber es gibt keinen Umsetzungsplan.

derStandard.at: Scheitert das an der Parteipolitik und daran, dass Politiker nur bis zu den nächsten Wahlen denken?

Schifko: Genau. Am Casino-Abend im Parlament vor zwei Jahren wurden die Studiengebühren quasi abgeschafft. Das war Roulette. Da wurde gesagt: Okay, da ist eine Wahl in der nächsten Woche, da beschließen wir Dinge, die sich vor einer Wahl gut anhören. Das Gesetz ist furchtbar schlampig formuliert und es hat dazu geführt, dass manche Studierenden, weil sie zwei Fächer studiert haben, in einem Fach Studiengebühren zahlen mussten. Daran hat damals keiner gedacht. Ein langfristiger Plan würde solche Dinge torpedieren.

Man bräuchte ein Gremium, das unabhängig von diesen alltäglichen politischen Mehrheitsverhältnissen arbeiten kann und für die Unis auch was weiterbringt.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie die Performance von Karl?

Schifko: Ich muss sagen, allzu viel habe ich noch nicht gesehen. Sie macht das, was offensichtlich derzeit der Aufgabenbereich der Wissenschaftsministerin ist, nämlich Symptombekämpfung. Sie hat das Problem, dass sie das Ressort übernommen hat, als der Finanzrahmen schon relativ fertig war und sie war damit konfrontiert, dass es sehr wenig Geld geben wird. Sie konnte darauf nur reagieren. Deshalb nehme ich sie da ein bisschen in Schutz und sie macht fast das Beste daraus. Gleichzeitig müsste sie mal auf den Tisch hauen und ihren Kolleginnen und Kollegen im Ministerrat sagen, dass es so nicht geht. Wenn wir die Unis und FHs aushungern lassen und keine wirkliche Reform machen, dann wird uns das auf den Kopf fallen.

derStandard.at: Falls es neue Uni-Proteste gibt, wird sich die AG an solchen Protesten beteiligen?

Schifko: Die Frage ist immer, wie man Proteste definiert. Wir haben kein Problem mit Protesten, die Probleme an den Unis aufzeigen. Aktionismus ist per se nichts Schlechtes. Allerdings glaube ich, dass eine Hörsaalbesetzung die Falschen trifft. Die Leidtragenden sind die Studenten, die ihre Lehrveranstaltungen nicht wahrnehmen können. Die AG wird sich sicher an inhaltlichen Protesten beteiligen, aber bei keinen Bestzungen, Blockaden, etc. mitwirken.

derStandard.at: Sie haben von "eingeborenen Abneigungen" zwischen den Fraktionen gesprochen, die Sie überwinden wollen. Ist das eine Kritik an Samir al Mobayyed? Was genau meinen Sie damit?

Schifko: Nein, ich meinte die eingeborenen Abneigungen gegen uns und nicht von uns. Die AG und ihre Vorgänger haben seit der Nachkriegszeit bis 2000 den ÖH-Sektor geprägt. Aus der Zeit hat sich wohl die Abneigung der anderen Fraktionen gegen uns entwickelt. Sie haben wohl Angst, dass wir wieder stärker werden, wenn sie uns mitarbeiten lassen. So wie wir auch jetzt wieder stärker werden. Das zu überwinden ist ganz ganz schwierig. In Graz funktioniert das zum Beispiel, da haben wir eine Partnerschaft mit VSStÖ und GRAS.

derStandard.at: Wollen Sie die derzeitige Exekutive in der ÖH stürzen? Sie haben angekündigt, das sich die in der ÖH Mehrheiten suchen wird.

Schifko: Die AG wird sich immer dafür einsetzen, dass wir für unsere Ideen innerhalb der ÖH Lobbying und Mehrheiten finden. Stürzen? Die Sigi Maurer existiert medial momentan eigentlich nicht. Den letzten Abwahlantrag konnte Maurer auch nur knapp abwenden. Da muss man einhaken. Da muss man auch den Linken zeigen, dass es mit der AG besser geht also ohne die AG. Da muss man Allianzen schmieden.

Zum Beispiel beim Thema Zugangsbeschränkungen. Wenn die ÖH bei diesem Thema geschlossen auftreten würde, könnte sie auch wieder etwas bewegen. Die Studenten haben ja eigentlich sogar eine gesetzliche Lobby, nämlich die ÖH, aber die nur zerstritten ist und schmeißt sich lieber gegenseitig ein Hackerl hinein, als zusammenzuarbeiten. Uns wird es nach den nächsten Wahlen auch noch geben und Sigi Maurer kann uns nicht ignorieren und wenn sie es tut, dann wird es eher zu ihrem Schaden sein. (Lisa Aigner und Teresa Eder, derStandard.at, 30.8.2010)