Wien - Die Folter bleibt verboten. Aber Rechtsbrüche seien immer wieder möglich, weil wir in einer "Übergriffsgesellschaft" lebten: Dies war ein Grundtenor einer sehr gut besuchten Diskussion über "Unrecht und Ordnung - Gewalt als Versuchung des Rechtsstaats" in der Nationalbibliothek in Wien.

Bei der Podiumsdebatte des Instituts für eine Offene Gesellschaft unter der Leitung von Heide Schmidt wurde weiters festgestellt, dass zu den Rechtsbrüchen massive Rechtstrends kämen, ausgelöst durch Terror und Entführungen. Der Staatsrechtler Bernd Christian Funk relativierte das Folterverbot. Wenn es um das Leben von Geiseln gehe, sei "eine erniedrigende Behandlung" der Geiselnehmer möglich - allerdings "ohne Gesundheitsgefährdung". Und Roland Miklau (Sektionschef im Justizministerium) argumentierte, dass bei der polizeilichen Gefahrenabwehr die Unschuldsvermutung in den Hintergrund trete. Die Folge: "Der Rechtsschutz wird geschwächt."

Nadja Lorenz, Rechtsanwältin und wie Funk und Miklau Mitglied des Menschenrechtsbeirats, berichtete aus ihrer Erfahrung von "Abschattierungen" des Folterverbots bei Ermittlungen. In der Polizeihaft komme es immer wieder zu teils schweren Rechtswidrigkeiten. Auch gebe es keine ausreichende Rechtsbelehrung durch die Polizei.

Das räumte auch der ehemalige Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, ein. Die Übergriffe der Polizei seien jedoch "früher ärger gewesen als heute". Ein Folterskandal, wie er beim Entführungsfall Metzler in Deutschland kürzlich passierte, sei in Österreich formal nicht möglich. "Niemand würde so etwas genehmigen, niemand einen solchen Antrag stellen." Sika fügte hinzu, es sei aus der Polizeipraxis erwiesen: "Wer unter Androhung der Folter etwas gesteht, würde es auch bei Anwendung von legalen Methoden tun." (red/DER STANDARD, Printausgabe, 28.4.2003)