Lingen - Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet von den Atomkraftwerk-Betreibern über die geplante Brennelementesteuer hinaus einen Betrag zur Entwicklung der erneuerbaren Energien. Auf der einen Seite habe man für die Haushaltskonsolidierung "auch für die Energiewirtschaft, die Kernkraftwerke, eine bestimmte Abgabe im Auge", sagte Merkel am Donnerstag beim Besuch des AKW in Lingen. Zudem werde man darüber sprechen, "in welcher Weise die Energiewirtschaft einen Beitrag für die erneuerbaren Energien leisten kann".

Auch der zusätzliche Beitrag für die erneuerbaren Energien bette sich ein "in eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke, die ich persönlich für notwendig und auch absehbar halte", sagte Merkel weiter. Jahreszahlen zur geplanten Laufzeitverlängerung wollte die Kanzlerin aber erneut nicht nennen.

Solange sie die in Arbeit befindlichen Energieszenarien noch nicht gesehen habe, könne sie nicht sagen, was als Laufzeitverlängerung sinnvoll sei. Zudem gehe es bei der Verlängerung auch um die Frage der Sicherheit und um rechtliche Möglichkeiten. "All das muss zusammengebracht werden. Das werden wir in den nächsten Wochen entscheiden", sagte die Kanzlerin. Das Energiekonzept solle wie geplant am 28. September vom Bundeskabinett verabschiedet werden.

Merkel: Kernkraft als Brückentechnologie notwendig

Das Atomkraftwerk Emsland in Lingen, das Merkel auf ihrer Energiereise besuchte, bezeichnete die Kanzlerin als "ein modernes, sehr sicheres Kernkraftwerk und ein Bespiel dafür, dass Kernkraft als Brückentechnologie notwendig ist". Während ihres Besuches führte Merkel ein kurzes Gespräch mit den Vorstandsvorsitzenden von RWE und E.ON, Jürgen Großmann und Johannes Teyssen. Dabei habe man allerdings keine Verhandlungen geführt. Diese fänden an anderer Stelle statt, sagte sie.

Bei Merkels Ankunft auf dem Kraftwerksgelände demonstrierten vor dem Tor mehrere Hundert Atomkraftgegner und etwa 30 Landwirte mit Traktoren. Der Sprecher der Anti-AKW-Kampagne "Ausgestrahlt", Jochen Stay, sagte bei der Protestkundgebung: "Wer AKW-Laufzeiten verlängert, verkürzt seine Regierungszeit." Die "Dinosauriertechnologie" Atomkraft müsse umgehend durch Strom aus Sonne, Wind und Wasserkraft ersetzt werden. Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace hatten in der Nacht die Parole "Atomkraft ist ein Irrweg, Frau Merkel", auf den Kühlturm des Atommeilers projiziert. Den Demonstranten gelang es nicht, der Bundeskanzlerin wie zunächst geplant 160.000 gesammelte Unterschriften für den sofortigen Atomausstieg zu übergeben. "Frau Merkel hat Zeit für die Chefs der großen Energieversorger, aber kein Ohr für das Anliegen von 160.000 Bürgern", bemängelte Stay. Die Polizei sprach 200, der Veranstalter von 300 Demonstranten.

Am AKW Emsland sind RWE mit 87,5 Prozent und E.ON mit 12,5 Prozent beteiligt. Der 1988 in Betrieb gegangene Meiler müsste ohne Laufzeitverlängerung und bei weiterhin normaler Stromproduktion im Jahr 2020 abgeschaltet werden. Nach der Besichtigung des Atomkraftwerkes besuchte die Kanzlerin ein benachbartes Gaskraftwerk. Anschließend standen noch ein aus Biomasse Strom produzierender Gärtnereibetrieb und ein Kohlekraftwerk auf der Agenda ihrer Energiereise.

Mit Blick auf das geplante Energiekonzept der Bundesregierung hat der Umweltverband WWF unterdessen eine klare Weichenstellung zugunsten des Ausbaus erneuerbarer Energien verlangt. In einem deutschen Energiekonzept müssten die Lösungswege im Mittelpunkt stehen, die Deutschland zu dem verbindlich festgelegten Ziel führen, bis 2050 95 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als 1990 auszustoßen, erklärte die WWF-Klimaexpertin Regine Günther am Donnerstag in Berlin. "Wenn jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, ist eine derartige Minderung unserer Treibhausgase technisch möglich, wirtschaftlich finanzierbar und politisch zu bewältigen. Wir müssen nur wollen", fügte sie hinzu. Der WWF äußerte zugleich die Befürchtung, dass der Regierung derzeit vor allem Laufzeitverlängerungen für die deutschen Atomkraftwerke am Herzen lägen. Solche Laufzeitverlängerungen blockierten jedoch den benötigten Umbau der Energiewirtschaft in Richtung erneuerbare Energien. (APA/apn)