Hartmann über Direktoren: "Kein Wirtschaftsunternehmen gibt heute die Verantwortung für 1100 'MitarbeiterInnen' an jemanden, der auf diese Aufgabe nicht gut vorbereitet ist. An Schulen machen wir das noch".

Foto: derstandard.at/Aigner

Im internationalen Vergleich ist die  Personal- und Budgetautonomie an Österreichs Schulen sehr gering ausgeprägt, sagt Martin Hartmann vom Institut für Schulforschung in Innsbruck. "SchulleiterInnen sollten Lehrer selbst aussuchen und anstellen können", meint er im Interview mit derStandard.at. Zudem schlägt er vor, dass Schulen nicht mehr von einer Person, sondern von einem Team geleitet werden.

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derStandard.at: In der Öffentlichkeit bewusst wahrgenommen werden eigentlich nur die schulautonomen Tage. Was genau versteht man sonst unter Schulautonomie?

Hartmann: Hinter Schulautonomie steht die Idee, dass zentrale Entscheidungsbefugnisse an die Einzelschule verlagert werden. Diese ist dann besser in der Lage auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Die Betroffenen vor Ort wissen, was nötig ist und sollen Schule gestalten können. In Österreich wurden dazu beginnend in den frühen 1990er Jahren Freiräume geschaffen. Die von Ihnen erwähnten schulautonomen Tage sind ein Beispiel dafür, wenn auch kein gelungenes.

Ein Bereich, in dem die Schulautonomie sehr viel gebracht hat, ist der Bereich der Lehrplanautonomie. Schulen können sich ein Profil geben und Schwerpunkte setzen. So haben viele Schulen Informatik oder Soziales Lernen als Unterrichtsfach eingeführt und damit auf einen gesellschaftlichen Trend reagiert. Die Schwerpunktsetzung spiegelt sich auch in der Namensgebung vieler Schule wider, zum Beispiel Sporthauptschulen oder Gymnasien mit musischem Schwerpunkt.

Schulen haben also einen großen Gestaltungsspielraum im pädagogischen Bereich. Wir haben die Schulzeitautonomie mit den schulautonomen Tagen und dann gibt es noch die Personal- und Budgetautonomie. Diese zwei Bereiche sind im internationalen Vergleich in Österreich gering ausgeprägt. Schulleiter/innen beklagen sich hier auch immer wieder, vor allem was die Einstellung von Lehrpersonen und anderm Personal betrifft. 

derStandard.at: Was müsste man bei der Anstellung von Lehrern ändern?

Hartmann: Schulen können sich derzeit ihr Personal nicht aussuchen. Das schränkt natürlich die Handlungsmöglichkeiten ein. Als Schulleiter kann ich eine Lehrperson zugeteilt bekommen, die gar nicht zu meinem pädagogischen Profil passt oder nicht an meinen Standort möchte. Schulleiter/innen sollten Lehrer selbst aussuchen und anstellen können.

derStandard.at: Was sind die Vorteile von Schulautonomie?

Hartmann: Der Vorteil der Schulautonomie ist, dass Schulen mehr Gestaltungsspielraum bekommen und auf regionale und gesellschaftliche Bedürfnisse schneller eingehen können. Auf der anderen Seite steigt natürlich der Arbeitsaufwand für Schulen und SchuleiterInnen. 

In einem Gymnasium kann eine Schulleiterin für hundert Lehrpersonen zuständig sein und muss gleichzeitig das pädagogische Programm entwickeln, Konflikte mit Eltern lösen  und vieles mehr. In unserem System stoßen wir da derzeit an die Grenzen.

derStandard.at: Wie müsste man das System ändern?

Hartmann: Das fängt bei der Ausbildung an. In Österreich wird man Schulleiter ohne Ausbildung. Man bewirbt sich um den Posten eines Schulleiters, wird ausgewählt und ernannt. Am einen Tag ist man noch Lehrer in einer Klasse mit 30 Schülern und am nächsten leitet man ohne Vorbereitung eine Schule mit 100 Lehrern und 1000 Schülern. Kein Wirtschaftsunternehmen gibt heute die Verantwortung für 1100 "Mitarbeiterinnen" an jemanden, der auf diese Aufgabe nicht gut vorbereitet ist. An Schulen machen wir das noch.

Wir brauchen eine Vorqualifizierung für Schulleiter/innen und den kontinuierlichen Aufbau von Führungskompetenz. Das Modell, das mir vorschwebt ist, dass man weg von dem Leitungsmodell einer Einzelperson hin zu einem Modell einer geteilten Führung geht: Dass ein Team die Schule leitet. Da kann es einen erfahren Schulleiter geben und Leute, die in diese Rolle hineinwachsen. Das Team teilt sich die Aufgaben auf. Eine konzentriert sich mehr auf die pädagogische Führung, jemand anderer um die Außenkontakte usw. Die Stärken jeder Person sollen genutzt werden. Schulleiter/innen werden zu Coaches, die herangehende Leiter/innen unterstützen.

derStandard.at:Wäre ein Schulleitungsteam im jetzigen System bereits nötig?

Hartmann: Auf jeden Fall. Die Aufgaben sind da. Auch durch die Bildungsstandards und die anderen Reformprojekte die laufen. Die Bildungsstandards sind als eine Reaktion auf die Autonomiebewegung zu sehen. Es hat sehr viel Entwicklung durch die Schwerpunkte an den Schulen gegeben. Zentrale Entscheidungen wurden abgegeben. Die Schulen haben sich unterschiedlich entwickelt. Das Bildungssystem befindet sich da in einem Spannungsfeld, zwischen der autonomen Entwicklung an den Einzelschulen einerseits und der Sicherung vergleichbarer Qualität im Gesamtsystem andererseits. Mit den Standards werden die Unterschiede zwischen den Schulen und Lehrern festgestellt.

Da ist die Frage, was machen wir mit den Ergebnissen? Im landwirtschaftlichen Bereich würde man sagen: Nur weil man ein Schwein wiegt, wird es nicht automatisch schwerer. Wenn also klar wird, dass es in einem Bereich Schwächen gibt, dann muss etwas dagegen getan werden. Und da ist Schulleitung wichtig. Haben Schüler/innen zum Beispiel Probleme mit dem Erfassen von Texten, dann soll die Schulleitung dort Akzente setzen. Das geht über die Einzelperson des Lehrers hinaus.

derStandard.at: Das Wifo hat vorgeschlagen, dass die Schulen autonom über ihre Mittel verfügen können. Was halten Sie davon?

Hartmann: Das ist generell ein guter Vorschlag, weil die Schulen dadurch flexibler werden. 

derStandard.at: Was würde sich dann an den Schulen ändern?

Hartmann: Sie könnten zum Beispiel die Fortbildung für die Lehrer selbst finanzieren. Derzeit haben wir ein Angebotssystem der Pädagogischen Hochschulen. Lehrer melden sich dazu individuell an. Da wird ein großes Potenzial vergeben. Wenn Schulen ein Budget für die Fortbildung haben, dann können sie sich die Fortbildung einkaufen. Jetzt haben wir eine Holschuld für die Schulen. Lehrer/innen melden sich zu Fortbildungen an. Fortbildung ist meistens eine individuelle Angelegenheit. Es findet wenig systematische Weiterentwicklung statt.

Wenn die Pädagogischen Hochschulen bzw. andere Anbieter eine Bringschuld haben, sieht das anders aus. Ein weiters Beispiel ist das Einstellen von Personal. Wenn Schulen ein höheres Budget haben und Geld sparen, dann sollten sie dieses auch frei einsetzen können, zum Beispiel zum Anstellen einer Unterstützungskraft in der Nachmittagsbetreuung oder eines Künstlers für ein Projekt. Das kommt den Schüler/innen zu gute. 

derStandard.at: Wie beurteilen Sie die aktuelle Debatte rund um die Lehrer-Zuständigkeit? Sollen der Bund oder die Länder die Lehrer bezahlen? Wo ist da für die Schulen überhaupt der Unterschied?

Hartmann: Für die Schüler ist es wichtig, dass sie gute Lehrer und eine gute Schule haben. Wo das Geld für die Lehrer herkommt ist für die Schüler und deren Eltern nebensächlich. Schüler und Eltern wollen eine einfache Verwaltung, damit möglichst viel der Ressourcen direkt bei den Schülern ankommen. Ich bin für eine einheitliche Bezahlung aller Lehrer durch den Bund. Die derzeitige Zersplitterung zwischen Bund und Ländern schafft unnötige Komplexität. Es braucht auch ein einheitliches Dienstrecht für alle Lehrer. Im Herbst wird daran nach meinem Informationsstand gearbeitet. Das ist wichtig. Das neue Dienstrecht sollte Schulen mehr Flexibilität mit ihrem Personal geben, damit sie besser auf die geänderten gesellschaftlichen Bedingungen reagieren können. (Lisa Aigner, derStandard.at, 27.8.2010)