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Nick Clegg während einer Rede in der Downing Street Nummer 10. Derzeit darf er Premier spielen, die Kritik an ihm wächst.

Foto: AP/Melville

Die Liberaldemokraten sind in den Umfragen abgerutscht, Kritik hagelt es für den Sparkurs.

Den Chef vertreten, endlich selbst den Ton angeben – für Nick Clegg ist das derzeit Realität. Noch bis kommende Woche, wenn David Cameron aus dem Urlaub zurückkehrt, darf der 43-jährige Liberaldemokrat britischen Premier spielen, ausländische Besucher treffen und Grundsatzreden halten.

In dieser Situation das Gleichgewicht zu wahren ist nicht so einfach. Einerseits will und muss der Chef des kleineren Koalitionspartners eigene Akzente setzen, andererseits will er es sich mit dem konservativen Chef nicht verderben. "Wir führen eine partnerschaftliche Regierung" , so Clegg.

Gut drei Monate ist es her, dass der Bankersohn, Cambridge-Absolvent und frühere EU-Bedienstete seine Partei an die Macht geführt hat, erstmals seit 1945. Während Clegg selbst sich wohlzufühlen scheint, greift in der eigenen Partei aber Skepsis um sich. Als "nachdenklich" bezeichnet Mark Pack von der Website Liberaldemocrat Voice die Stimmung an der Basis: "Wir sind in unerforschten Gewässern." Die Medien karikieren den Chef der Fraktion von 57 Abgeordneten als Untergebenen von Camerons Tories. Aus der abgewählten Labour Party schlägt Clegg Häme, ja Hass entgegen.

"Wir müssen die Lib-Dems ausrotten" , sagt Ed Miliband, aussichtsreicher Bewerber um Labours Parteivorsitz. In den Umfragen sank der Anteil von Lib-Dem-Wählern im August auf 14 bis 15 Prozent – im Mai hatten noch 23 Prozent ihr Kreuz bei den Gelben gemacht. "Wenn ich Liberaldemokrat wäre, würde ich mir Sorgen machen" , meint Joe Twyman vom Forschungsinstitut YouGov.

Übers Wochenende sorgte die Vermutung für Schlagzeilen, Cleggs Vor-Vorgänger Charles Kennedy trage sich mit Übertrittsgedanken zu Labour. Das Gerücht stammte aus Milibands Umkreis, das Opfer dementierte nachdrücklich: "Ich verlasse diesen Planeten mit dem Lib-Dem-Mitgliedsausweis in der Tasche."

Immerhin gilt Kennedy wie einige seiner Fraktionskollegen im Unterhaus als Koalitionsskeptiker. Auch im Oberhaus rumort es, wie Jenny Tonge der BBC bestätigte: "Mehrere erfahrene Kollegen sind unglücklich." Selbst der LibDem-nahe Independent sieht Cleggs Führungsanspruch "unter zunehmendem Druck" .

Die Kritiker vereint die Abscheu vor den massiven Sparmaßnahmen. Um das Rekorddefizit zu senken, setzt die Regierung auf eine Mehrwertsteuererhöhung und Einsparungen. Er verstehe ja, dass diese Politik "umstritten" sei, sagt Clegg und kritisiert die Opposition: "Labour hatte selbst Einsparungen von 44 Mrd. Pfund angekündigt, aber nie Details genannt. Das ist doch unehrlich." (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 25.8.2010)