"Le Jardin Sauvage" realisierten atelier le balto 2002 für das Palais de Tokyo: Binnen zwei Wochen wurden zur Eröffnung des neuen Kunstortes alle Bedingungen zum Wachsen eines Urwaldes geschaffen.

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Marc Vatinel, Véronique Faucheur, Marc Pouzol.

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Salzburg - Ein Student hat in einem der Ateliers auf der Pernerinsel eine kleine Mauer aus Natursteinen aufgeschichtet. Fast schon ein Stück Minimal Art, das den Heizkörper darunter vergessen und zum Sockel werden lässt. Andere haben mit nichts anderem als Seilen und Schritten das Terrain vermessen, dessen Potenzial ausgelotet und die Topografie aufs Papier gebracht. Véronique Faucheur und Marc Pouzol des seit 2001 in Berlin situierten atelier le balto haben ihre Studenten bei der Sommerakademie erst einmal auf Erkundungstour geschickt. Es galt interessante Orte zu entdecken, dessen Qualitäten zu erforschen und sie anderen zu vermitteln, ohne sich sofort zu fragen, was für ein Projekt kann ich realisieren.

"Wir sagen, du musst nicht unbedingt etwas machen, guck erst einmal, was da ist." Diese "Kultivierung des Blicks" ist dem Stadtplanung, Landschaftsarchitektur und Gärtnern vereinenden atelier le balto (der Dritte im Bunde, Marc Vatinel, lebt in Le Havre) immens wichtig. Es sei in gewisser Weise auch eine Art archäologische Arbeit, in der man sich fragt, "was ist hier in den letzten Jahren passiert und was könnte hier noch passieren?" Man müsse sich als Teil einer Dynamik verstehen, also dem Ort nicht für die Ewigkeit sein Design oder Signatur aufzwingen, sondern Akzente setzen - womöglich nur für eine Zwischenzeit.

"Als Landschaftsarchitekt muss man sich fragen, was ist die minimale und was die maximale Aktion, die dieser Ort verkraftet, sodass er nicht für immer umkippt." Die behutsame Herangehensweise ist bei der Sommerakademie, wo mit atelier le balto erstmals neben klassischen künstlerischen Disziplinen auch die Landschafts- und Gartengestaltung in den Fokus rückt, aufgegangen: "Sie haben ungewöhnliche Orte an der Peripherie entdeckt, die sie am Anfang nicht gefunden hätten." Etwa den kleinen privaten Park aus dem 19. Jahrhundert an der Spitze der Salzachinsel, den man nur über das Gelände einer Fabrik erreicht, die Mikrolandschaften rund um ein aufgelassenes Eisenbahngleis oder auch die gemauerte Uferbefestigungen, die auf Christoph Perner zu Rif zurückgehen und für atelier le balto eigentlich die Identität des Ortes ausmachen: "Sie sind der Sockel der Insel." Eine jener übersehenen Qualitäten, die Faucheur und Pouzol betonen würden. Stattdessen hat man vor der ehemaligen Saline Büsche und Sträucher gepflanzt. "Irgendwelche Pflanzen, die mit der Landschaft hier nichts zu tun haben. Absolute Fremdkörper" .

Das "Einheitsgrün"

Die Spaziergänge, die stets im Vorfeld ihrer Projekte stattfinden, führten das Atelier dieses Mal mit den Studenten auch in das liebliche Schmuckkästchen Salzburg. Eine Stadt, die nicht nur mit "Einheitsgrün" , sondern auch mit "authentischer Natur" aufwarten kann: "Zwischen der Festung und dem Museum der Moderne gibt es einen Waldweg. Dort steht die wilde Natur im Kontrast zur Dachlandschaft. Oben das Grün, dann die strenge Stadt mit den Zinkdächern und der Fluss, das ist eine schöne Abstufung. Dieser Pfad ist ein starkes Element, das man bewahren sollte."

Salzburg ginge es gut, habe aber "wie alle europäischen Städte" ein Problem. "Der Stadteingang ist katastrophal. Gleich nach dem Ortsschild stößt man auf diese Autohäuser, Fastfood-Ketten ... eine uniforme Zone, die sich bis zur Altstadt zieht." Aber selbst in diesen Gebieten, wo die Städte schnell wachsen, würden sich Zwischenräume finden lassen, wo man als Landschaftsarchitekt wirken kann: "Diese Reserven müssen nicht nach dem Motto ‚das muss jetzt frei bleiben‘ besetzt werden, diese Freiräume können sich auch bewegen. Mich würde es reizen, eine Choreografie der temporär frei bleibenden Orte in Städten zu inszenieren." Und: "Provisorisch ist auch schön" . Die Besetzung einer Position zwischen Kunst und Landschaftsarchitektur hat für atelier le balto eigentlich 2001 mit einem Projekt für die Kunstwerke Berlin begonnen, deren Hinterhof man seither jedes Jahr neu und völlig unterschiedlich "mal wild, mal gezähmt" gestaltet. Das Wort "Gartenkunst" will das Kollektiv einer aktualisierten Bedeutung zuführen. Faucheur: "Wir hatten immer Probleme mit dem Wort Gestaltung, weil es sich für uns mit etwas verbindet, das man ganz genau plant und konstruiert und wie ein Objekt, wie einen Schmuck vor Ort bringt. Und das wollten wir eben nicht."

Stattdessen nutzen sie die vorgefundenen Qualitäten für ihre Transformationen der Orte. Ein Wandel, in dem nicht alles festgelegt ist, sondern wo die Vegetation irgendwann wieder zurück ans Ruder kommt. "So, dass wir auch selbst überrascht werden." Im ersten Jahr seien die im Frühjahr gepflanzten zarten, fragilen Bäume über den Sommer derartig "explodiert" , dass sie selber nicht mehr wussten, wo genau der Weg entlang führt. Die "wechselnden Bildbühnen" von atelier le balto gleichen einem Experiment. "Es gibt mehr gute Überraschungen als schlechte, wenn man mit Pflanzen arbeitet. Ein Journalist hat geschrieben, dass wir Pflanzenstücke inszenieren. Das passt sehr gut. Wir sehen Gartenkunst eher als eine Ausdrucksform wie Musik oder Tanz, als Choreografie oder Komposition." (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 25. 8. 2010)