Laurie Anderson: "Homeland" (Nonesuch/Warner Music 2010)

Coverfoto: Nonesuch/Warner

"Ich bin eine Geschichtenerzählerin", sagte die kleine Frau mit der leicht esoterischen Attitüde einst. Und nun, nach zehnjähriger Pause, tut sie es wieder. Laurie Anderson erzählt eine Silberscheibe lang von Skurrilitäten, ernsten Problemen, surrealen Szenerien: Von den Zeiten, als es die Zeiten noch nicht gab, als Tag- und Nachtlose herrschte und die Vögel nicht landen konnten, denn auch die Erde war noch nicht erschaffen. Exotische Musiker spielen exotische Instrumente - die Vögel kreischen ... oder war es doch die Violine, oder der Roboter?

Beiläufig plätschert der Sprechgesang durch den Äther, nimmt zuweilen schamanische Dimensionen an, bleibt luftig, perlt anmutig vom Zuhörer ab und manchmal wird es salbungsvoll wie beim gregorianischen Choral. Ganz so leicht machte es einem die heute 63-Jährige nie mit der Einordnung dessen, was sie ihr Musikerinnenleben lang serviert hat. Denn von Musik kann man wieder einmal nicht so richtig sprechen. Am Ende erzählt die New Yorkerin Zeit ihres Lebens ihre Alb- und Tagträume. Punktum.

Philosophie für den Äther

"The beginning auf Memory" geht jedenfalls so weiter. Es gab nur Luft und Millionen von Vögeln, die kreisten und kreisten und kreisten, denn was sollten sie auch sonst tun? Elfengleich und eindringlich - wie auf allen anderen Werken zuvor - haucht die Dame ihre philosophischen Skizzen in den Äther. Die Vögel konnten nicht landen, denn da war kein Land. Und so stand oder besser gesagt flog eine Lerche vor - und mit einem Problem, als ihr Vater starb. Denn es gab kein Land, um ihn zu begraben. So fand er seine ewige Ruhestatt im töchterlichen Lerchen-Kopf. Und so kam die Erinnerung in die Welt.

Musik für die Hunde

Lange war es etwas still um die Multimediakünstlerin, die ihre seltsamen kauzigen Gespinste auf Computer aufzeichnet, die sich in dunkle Säle setzt und Gedichte vorträgt, mit Musik aus dem Laptop untermalt, die Musikstücke für Hunde komponiert und inszeniert - das menschliche Gehörorgan kann in diesem Hochfrequenzbereich gar nicht mit. Auf den Hund gekommen ist die langjährige Partnerin und seit 2008 offiziell angetraute Ehefrau von Rocklegende Lou Reed aber bei weitem nicht. Mit "Homeland" gibt sie ein feines Comeback, vertrauend auf ihr altes Erfolgsrezept - und klingt immer noch nicht in die Jahre gekommen.

Nichts ist der New Yorkerin zu pathetisch, keine Zutat zu real, um nicht doch noch Poesie daraus zu wirken. Wo sie schürft, sind die Ränder der Welt nicht weit: Terror, Börsencrash, Klimaveränderung. Das ist der Stoff aus dem die Märchen sind. "Homeland" ist auch für Fans der Multimediakünstlerin Heimat im besten Sinn: Vertraut unvertraut und immer noch schräg und ein wenig schrill, zuverlässig perlende Poesie, klangarchitektonisch umrahmte Hörbücher, ein Epos in wechselnder Perspektive, manchmal ein bisschen infantil, wenn da mit täuschend harmloser Roboterstimme "The Crash" aufgerollt und abgespult wird.

Jenseitiges in der Realtität angekommen

Zuweilen gefriert auch dem Hartgesottenen das Blut in den Adern. Antony Hegarty trällert im Hintergrund, John Zorn streut Saxofontöne ein und drüber, Lou Reed lässt auf seine alten Tage die Gitarre aufheulen. In milden Tönen wird Schräges aufgetischt, das alte Ehepaar vorgestellt, das sich ein langes Leben lang nicht mochte. In den 90ern angekommen, lassen die knorrigen Alten sich doch noch scheiden. Die Begründung ist nahe am Gesamtwerk: Lapidar, realistisch und jenseitig: "Wir wollten warten, bis die Kinder tot sind." Wer so etwas ernst nimmt - bitteschön. (mareb)