Die "Gesetze der Löcher" sind ebenso gnadenlos wie die Gesetze der Physik. Wenn Sie sich in einem Loch befinden und heraus möchten, müssen Sie zunächst aufhören, zu graben. Wenn Sie es mit mehreren Löchern zu tun haben, die es zu stopfen gilt, wenden Sie sich zuerst jenem zu, das die größte Gefahr darstellt.

Diese Gesetze gelten insbesondere für Staatsfinanzen. Als John Maynard Keynes von dauerhafter Unterbeschäftigung sprach, meinte er damit nicht, dass die Ökonomien nach einem großen Schock auf einem unveränderlichen Niveau gedämpfter Aktivität stagnieren. Vielmehr glaubte er, dass die Erholung nach dem Tiefpunkt ohne externe Anreize langsam, unsicher, schwach und rückfallgefährdet verlaufen würde. Sein "Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung" ist eher wie eine Art Schwerkraft und weniger als ein unabänderlicher Zustand zu sehen.

Im Gegensatz zu Keynes glauben orthodoxe Ökonomen, dass Volkswirtschaften nach einem großen Schock auf "natürliche" Weise zu ihren früheren Wachstumsraten zurückkehren, wenn die Staaten ihre Haushalte ausgleichen und keine Ressourcen mehr vom privaten Sektor abzweigen. Die Autoren des EZB-Monatsberichts sind nicht der Ansicht, dass in den letzten zwei Jahren tatsächlich eine "Verdrängung" dieser Art stattgefunden habe. Zusammenfassend wird im Monatsbericht erklärt, dass Konjunkturpakete in der Eurozone dafür verantwortlich waren, dass das BIP in den Jahren 2009 bis 2010 um 1,3 Prozent höher lag, als dies ohne diese Maßnahmen der Fall gewesen wäre.

Noch stärker sind die Beweise für die positiven Auswirkungen von Konjunkturprogrammen in den USA. In einer aktuellen Veröffentlichung legen die Ökonomen Alan Blinder und Mark Zandl dar, dass man mit den gesamten Konjunkturmaßnahmen der Jahre 2009-2010 (einschließlich TARP, dem viel geschmähten Rettungspaket für den Finanzsektor) eine zweite Große Depression abwenden konnte. Allein die fiskalische Expansion war dafür verantwortlich, dass das BIP in den USA in den Jahren 2009-2010 um 3,4 Prozent höher lag, als dies ohne Konjunkturbelebung der Fall gewesen wäre.

Doch die Haushaltskürzer reihen eine unglaubwürdige Hypothese an die nächste. Die Konsolidierung "könnte" , so behaupten ihre Befürworter, die Anleger dazu bringen, eine Verbesserung auf der Angebotsseite der Wirtschaft zu erwarten. Dabei ist die Angebotsseite von Arbeitslosigkeit, dem Verlust von Fähigkeiten und Selbstvertrauen sowie einem Investitionsrückgang betroffen. Uns wird erzählt, dass die "glaubwürdige Ankündigung und Umsetzung" einer Strategie der Haushaltskonsolidierung die mit den Staatsschulden verbundenen Risikoprämien verringern "könnten" . Dadurch würden die Realzinssätze sinken und eine Erhöhung privater Ausgaben wahrscheinlicher werden. Aber die Realzinssätze für langfristige Staatsschulden sind in den USA, Japan, Deutschland und Großbritannien ohnehin schon bei fast null. Anleger bewerten nicht nur das Risiko einer Depression und Deflation höher als das eines Bankrotts, sondern geben aus dem gleichen Grund auch Anleihen den Vorzug gegenüber Aktien.

Schließlich "könnte" sich die Verringerung des staatlichen Kreditbedarfs aufgrund niedrigerer Zinssätze langfristig günstig auf die Produktion auswirken. Natürlich: Niedrige langfristige Zinssätze sind für eine Erholung notwendig. Aber ebenso sind es Gewinnerwartungen und diese sind von reger Nachfrage abhängig. Egal wie billig sich Unternehmer Geld leihen können - sie werden es nicht tun, wenn sie keine Nachfrage für ihre Produkte sehen.

In Wahrheit verringert nicht die Angst vor einem Staatsbankrott, sondern vor der Entschlossenheit der Staaten, ihre Finanzen auszugleichen, das Vertrauen in die Wirtschaft, weil dadurch auch Erwartungen hinsichtlich Beschäftigung, Einkommen und Aufträge leiden. Das Problem ist nicht das Loch im Haushalt, sondern in der Ökonomie. (©Project Syndicate, 2010. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.8.2010)