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Schmerz, Verletzung und Isolation:Francis Bacons "Study after Velázquez's Portrait of Pope Innocent X" aus dem Jahr 1950.

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Für Wilfried Steiner, seit 1999 künstlerischer Leiter des Posthofs Linz, ist das Kriminalistische nur ein Spiel, mit dem er ähnlich locker umgeht wir Paul Auster.

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Bildbetrachtungen. Ab und an machen das Schriftstellerinnen und Schriftsteller gern: von einem Gemälde, einer Zeichnung ausgehen und sich von diesem konkreten Kunstgegenstand ins Verbale abstoßen. Urs Widmer hat das in Buchlänge gemacht anhand von Bildern Valentin Lustigs. Brigitte Kronauer schrieb über den Hamburger Realisten Dieter Asmus ebenso wie über Bilder Giovanni Segantinis oder Stanley Spencers.

Und Spencer, dieser eigenwillige englische Maler, taucht auch einmal, an entscheidender Stelle im neuen Roman des Linzers Wilfried Steiner auf.

The Resurrection, Cookham, Spencers ausgreifendes, merkwürdig erotisch-kaltes Wiederauferstehungsbild, verbindet die Hauptfigur, den Wiener Antiquar Arthur Valentin, umgehend mit dem, was ihn elementar umtreibt: akutem Trennungsschmerz. Denn nach fünfzehn Jahren hat ihn seine Frau Isabel, eine Filmwissenschafterin mit Spezialisierung auf Horrorfilme, sitzen lassen. Er hat den Boden unter den Füßen verloren. Ist emotional zu Tode getroffen. Und wird bei einem Besuch des Kunsthistorischen Museums von einer Arbeit des britischen Malers Francis Bacon, Triptych May-June 1973, ein zweites Mal durch und durch getroffen.

Bei seinem nächsten Rundgang fesselt ihn sogar noch stärker ein anderes Bacon-Werk, Three Studies for Head of Isabel Rawsthorne. Er liest sich ein in Bücher über Bacon, den Rauschhaften, den Bohemien, den Homosexuellen, der politisch konservativ war. Arthur entschließt sich, mehr und anderes von Bacon im Original zu sehen, reist nach Basel, nach Berlin. Und weiter nach London, wo er, eine weitere epiphanische Erscheinung, in der Tate Britain Isabel wieder sieht, in Begleitung ihres neuen Geliebten namens Lohmeier, eines Stammkunden der Kunstbuchabteilung seines Antiquariats.

Er schnappt Fetzen ihres Gesprächs auf, in denen es um Bacon und Lucian Freud geht. Recherchen über Lohmeier ergeben für Arthur das Bild, dieser sei Kunstdieb, und das Paar wolle eine unbekannte Arbeit Bacons aus dem Nachlass eines verstorbenen Hamburger Sammlers stehlen.

Maia und Arthur finden heraus, dass der dort befindliche Bacon eine Fälschung ist. Ein anderer Tipp führt Arthur dann zu einer Witwe, die ihre Bilder zum Verkauf anbietet, weil sie nach Neuseeland umsiedeln will. Er erwirbt von ihr das künstlerisch wertloseste und preiswerteste Bild, lässt es auf Grund einer Intuition von einem Freund untersuchen, der als Restaurator in Linz lebt.

Tatsächlich erweist sich diese kleine Tafel als Porträt Francis Bacons, geschaffen von Lucian Freud und 1988 aus dessen Retrospektive in der Berliner Neuen Nationalgalerie gestohlen - was tatsächlich der Fall ist; bis heute ist es verschollen. Bei Steiner taucht es aber wieder auf und verbleibt schließlich in Arthurs Besitz, der am Ende noch immer Isabels Abwesenheit betrauert und illusionär herbeihalluziniert.

Für Wilfried Steiner, seit 1999 künstlerischer Leiter des Posthofs zu Linz, ist das Kriminalistische nur ein Spiel, mit dem er ähnlich locker umgeht wie Paul Auster. Im Mittelpunkt dieser Geschichte um Schmerz, Verletzung, hypnotische und hypnotisierende Traumwelten und sich nicht schließen wollende Wunden steht das Reflektorische der Bacon'schen Bilder. Die Wunsch-Schemen des überforderten und partiell blinden Arthur werden ausführlich gegengeschnitten mit Aussagen und Interviewauszügen Bacons, dessen ekstatisches Ausschöpfen des Lebens in Kreativität, Eros und Gemeinschaft dem leeren Kokon des erlebnisfreien Buchmenschen gegenübergesetzt.

Last der Eloquenz

So überaus suggestiv Bacons Gemälde von Steiner nachgeschrieben werden, so überinstrumentiert erscheint manch anderes. Vor allem die literarischen Anspielungen, Eng- und Parallelführungen summieren sich am Ende zu einer etwas verdrießlichen, da arg papierenen Aufdringlichkeit. Das fängt bei "Maldoror" an, dem sich auf den Prä-Surrealisten Lautréamont beziehenden Namen des Antiquariats, und endet bei Hermann Brochs Tod des Vergil und Exkursen über Hans Henny Jahnn.

Vor allem im letzten Fünftel verblasst Arthur Valentin, diese lexikalische Unscheinbarkeit in Person und Charakter, unter der ihm aufgebürdeten protagonistischen Last an Eloquenz und Wissen immer stärker, wird transparenter, uninteressanter, flacher. Je mehr er sagt, desto mehr ist über ihn bereits gesagt.

In kuriosem Gegensatz dazu steht das dichter gezeichnete Nebenpersonal, die Antiquariatskollegin Maia, deren Malkarriere nach einem Fahrradunfall ein jähes Ende fand, und der Freund Sebastian. Ihnen wird eine lebendigere, kräftigere Sprache in den Mund gelegt. Dass die letzte dramaturgische Wendung - Maia hat heimlich wieder zu malen begonnen und stellt, welch' Zufall, Porträts aus, zu deren Vernissage Arthur im letzten Moment eine Einladung erhält und Hals über Kopf aufbricht - nur für Arthur eine Überraschung ist, nicht aber für die Leser des Romans, unterstreicht, dass dieser Arthur, der nichts und alles zu sehen glaubt und im Nichts alles, im Missverhältnis steht zur Konstruktion dieses Buchs über Projektion, Entzifferung, Trug und Leere. (Alexander Kluy, ALBUM/DER STANDARD - Printausgabe, 21./22. August 2010)