Der "Phantom Recorder" lässt ein kaltes, feuchtes Gefühl auf der Haut entstehen, das Phantomempfindungen auslöst. Stimulieren die Phantombewegungen das Nervensystem, wird dies aufgezeichnet.

Foto: Revital Cohen

Stellen Sie sich vor, ein Windhund würde auf einem Laufband rennen, das neben dem Sofa steht und durch den Bewegungsablauf eine auf seinen Rücken geschnallte Pumpe betreiben, die dem Hundebesitzer Sauerstoff liefert. Künstliche Beatmung ohne eine aufwändige Maschine. Oder die Dialyse, die mit einem persönlichen Schaf gemacht werden kann. Tagsüber Kuscheltier, in der Nacht medizinische Unterstützung. Science-Fiction oder ernstzunehmende Zukunftsmusik?

Für Revital Cohen sind das in erster Linie Designprojekte, an denen sie abseits von Massenproduktion und unmittelbarer Verwertbarkeit experimentiert. Ihre Entwürfe basieren auf wissenschaftlichen Annahmen, die sie mit Technikern und Medizinern durchspielt, bevor sie ihre Objekte finalisiert.

Die Handschrift ihrer Arbeit verweist auf ihre Lehrer am Londoner Royal College of Art, bei denen sie Designinteraktion studiert hat: Anthony Dunne und Fiona Raby gelten als Vorreiter eines kritischen Designs, das keine Fragen beantwortet, sondern aufwirft. Mit spekulativen Vorstößen und provokanten Produktlösungen liefern sie Diskussionsgrundlagen. Und sie schreiben den Dingen eine metaphysische, eine poetische Ebene zu, die abseits ihrer unmittelbaren Anwendung existiert. Nachzulesen in der Publikation Design noir, in der beispielsweise das geheime Leben elektronischer Objekte verhandelt wird.

Schmerz aus dem Nichts

Eine poetische Ebene hat Revital Cohen auch bei ihrem "Phantom Recorder" eingezogen. Der Ausgangspunkt ist allerdings ein prosaischer. Das Phantom, auf dessen Spur sie sich begibt, ist der Schmerz. Nach Amputationen hat ein Großteil der Patienten Schmerzsensationen, die aus dem entfernten Körperteil zu kommen scheinen. Berührungen, Hitze- oder Kälteempfindungen, Druck oder auch Jucken werden fiktiv wahrgenommen. Die Gründe für diese Schmerzen sind nicht gänzlich geklärt. Man geht davon aus, dass sich die zuständigen Hirnareale, die für die abgetrennte Gliedmaße zuständig waren, umorganisieren müssen und den Körperteil zunächst noch als vorhanden abspeichern. Je höher die Schmerzen vor der Amputation waren, so die Annahme, desto stärker ist das diesbezügliche Gedächtnis des Gehirns ausgeprägt.

Revital Cohens Aufzeichnungsgerät, mit dem sie Phantomschmerzen gezielt hervorrufen und einfangen will, sieht auf den ersten Blick skurril aus. In einem am Armstumpf fixierten Ballon steigt Nebel auf, eine Konstruktion, die sie rund um einen kleinen Chip entworfen hat, der den eigentlichen Rekorder darstellt. Cohen schafft um dieses neuronale Implantat ein Mikroklima, das geeignet sein soll, Phantomschmerzen hervorzurufen. Patienten berichten, dass diese bei nasskaltem Wetter vermehrt auftreten.

Information an die Prothese

Der neuronale Chip, den Cohen einsetzt, ist eine Entwicklung des Cambridge Centers for Brain Repair. Es dient als Interface zwischen Computer und Körper, das am peripheren Nervensystem andockt und Impulse von Nervenfasern von Elektroden aufzeichnen lässt. Die Idee der Designerin ist es, diese Informationen an die Prothese weiterzugeben, sie mit den "Empfindungen" der entfernten Gliedmaße zu versorgen. Die Poesie einer körperlichen Erfahrung, die nicht in Zusammenhang mit einer konkreten Funktion zu bringen ist, soll übermittelt werden. Und was wäre, wenn wir auf diese Art und Weise auch unsere Gedanken aufzeichnen könnten? So lautet die Frage, die Cohen daran anschließt.

Mit ihren Entwürfen bewegt sich die Londoner Designerin im Themenfeld des Transhumanismus, der die technologische Verbesserung des Menschen anstrebt. Werten möchte sie mit ihren Objekten aber nicht, ihre Projekte hätten keine Agenda, wie Cohen nachdrücklich sagt. (Wolfgang Schmutz / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.8.2010)