Nikolaus Meze, Leiter Integrationszentrum Tirol

Foto: Willi Kozanek

daStandard.at: Wer gehört in Tirol zu der sogenannten "zweiten Generation"?

Meze: In Tirol ergibt sich bei der zweiten Generation ein ganz anderes Bild als in Restösterreich. Bei uns sind 18 Prozent der Einwanderer aus Deutschland und diese Gruppe wird laufend größer. Die Grenze zwischen Tirol und Deutschland ist eigentlich nur statistisch gegeben. Die zweite Gruppe kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien, dann kommen die Nachfahren der türkischen Einwanderer. Der Trend geht aber ganz klar in Richtung EU-Bürger.

Inwiefern ist die zweite Zuwanderergeneration in Sachen Bildung und Arbeitsmarkt in Tirol anders als die erste?

Meze: Die Schwankungsbreite bei den schulischen Leistungen ist eklatant. Die "erste Generation" war bei den Bildungsleistungen eher im Mittelmaß, bei ihren Kindern gibt es bei manchen Spitzenleistungen und andere schneiden erschreckend schwach ab, die Spreu vom Weizen trennt sich sozusagen. Es hat sich aber sehr viel Positives bei im öffentlichen Bereich entwickelt. Das "Zukunftszentrum Tirol" zum Beispiel setzt sich verstärkt mit Migranten und ihren Laufbahnentwicklungen auseinander.

Gibt es auch unerfreuliche Entwicklungen?

Meze: In den Sonderschulen wird der Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache immer größer. Die Situation für Lehrer ist alles andere als einfach, es bräuchte mehr Stützlehrer.

Womit könnte man Kindern aus Zuwandererfamilien helfen um geringere Schwierigkeiten im Schuleinstieg zu haben?

Meze: Man müsste die Eltern viel mehr einbinden. Einerseits haben aber manche Eltern kein Interesse daran eingebunden zu werden, andererseits kennen sie die Möglichkeiten in Österreich nicht. Oft treffen die Eltern für die Kinder Entscheidungen, die aus einer sehr eingeschränkten Auswahl stammen. Man müsste auch versuchen das Thema "Diskriminierung" mehr an die Öffentlichkeit zu bringen. Durch Diskriminierungen sehen sich Jugendliche oft selber als Randmitglieder der Gesellschaft und sind frustriert, was auch dazu führt, dass es unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund viele Schul- und Lehrabbrecher gibt.

Gibt es beim Schwerpunkt "Jugend" konkrete Ideen des Integrationszentrums?

Im Integrationszentrum Tirol besetzen wir zurzeit gerade den Posten des Jugendkoordinators. Mein Ziel wäre es, dass es in jeder Pflichtschule in Tirol einen Integrationsverantwortlichen gäbe. Es gibt in jedem Betrieb Beauftragte für zum Beispiel Brandschutz, wieso kann es also in Schulen nicht Integrationsbeauftragte geben, die in interkulturellen Themen helfen?

Die zweite Generation ist am Arbeitsmarkt in allen Altersbereichen sehr viel aktiver als die erste und fast mit den Einheimischen identisch. Worauf ist dies zurückzuführen?

Meze: Zu einem Teil ist das auf die aktivere Unterstützung der öffentlichen Seite zurückzuführen. In Innsbruck gibt es beispielsweise die "Via Produktionsschule", die Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren mit der Vorbereitung auf den Lehrberuf hilft. Die Erwerbsquote von Frauen mit bestimmten kulturellen Hintergründen könnte aber höher sein. Hier haben wir es aber mit einem niedrigen Heiratsalter zu tun. Viele Mädchen aus zum Beispiel tschetschenischen Familien, die vor wenigen Jahren nach Österreich gekommen sind, haben große Berufspläne, sie wollen in die HAK und zwei Monate später sind sie verheiratet. Von den Migraten in der Altersgruppe 18 bis 25 sind 18 Prozent verheiratet. Bei den Einheimischen sind es in der gleichen Gruppe nur 1,9 Prozent.

Kann man mit den neuen Zahlen belegen, dass Arbeitslosigkeit nicht mit der Herkunft, sondern nur mit der (Aus)Bildung zusammenhängt?

Meze: Absolut. Gute Bildung hilft, meiner Meinung nach, auch gegen Diskriminierung. Äußerst erfolgreich läuft bei uns das so genannte "Mentoring"-Programm. Mentoren aus der Wirtschaft beraten Mentees mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und erreichen Erfolgsquoten, also einen erfolgreichen Berufseinstieg, die bei 70 Prozent liegen.

Wie steht es um die Identität der zweiten Generation in Tirol? Fühlt sich diese anders in Bezug auf Österreich als die erste?

Meze: Die Jugendlichen sitzen zwischen zwei Stühlen. Bei den Buben aus Flüchtlingsfamilien sind die Väter die Vorbilder, was aber oft problematisch ist, weil diese Väter in Österreich nur schlecht bezahlten Tätigkeiten nachgehen. Somit führt diese Vorbildfunktion in eine Sackgasse. Außerdem gibt es oft Hintergedanken, wie "vielleicht gehe ich doch wieder zurück." Dies erschwert den beruflichen Einstieg noch zusätzlich.

Gehen die Jugendlichen oftmals zurück?

Meze: Nein, meistens nicht. Bosnien zum Beispiel, hat eine große Rückholaktion gestartet, die nur dürftig angenommen wurde. Dem Land fehlt aber eine ganze Generation an jungen Menschen, was den Wiederaufbau natürlich erschwert.

Was ist Ihrer Meinung nach der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration für die zweite Generation der Zuwanderer?

Meze: Bildung, am besten fachspezifisch. Die ganze Bandbreite an Ausbildungswegen sollte genützt werden. Außerdem bräuchte es mehr Projekte wie das angesprochene „Via Produktionsschule". Weiters müssten die Bildungsprojekte mehr an den Strukturwandel angepasst werden. Vor ein paar Jahren sollte in Tirol jeder Netzwerktechniker und Schweißer werden. Die Zukunft von Tirol ist es flexibel zu agieren und sich besser an Wandel anzupassen.