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Der Verdienst für die Arbeiter ist gering, die Gewinnspanne für die Unternehmer ein gut gehütetes Geheimnis.

Foto: Reuters/Bravo

Rattatattataaa. Unermüdlich surren die Nähmaschinen vor sich hin. Rattatattataaa. Von morgens acht bis abends um sechs. Kaltes Neonlicht taucht die Fabrikhalle in San Pedro Sula in gleißendes Licht. Jede Arbeiterin hat einen Wäschekorb neben sich stehen, in den sie die fertigen Teile wirft. Eine macht BH-Nähte, die andere die Träger, die dritte die Spitzenapplikationen. Immer die gleiche Bewegung, hunderte Male am Tag.

Ab und zu läuft die Vorarbeiterin durch die Reihen, holt die Wäschekörbe ab, zählt penibel die gefertigten Stücke und notiert sie auf einem Zettel. Die Arbeiterinnen beugen sich konzentriert über ihre Maschinen und blicken kaum auf, als der Chef durch die Gänge geht und den Besuchern die Kollektion präsentiert. Unterwäsche im Liebestöter-Look, in Weiß, Beige, Schwarz. Honduras ist der viertgrößte Textilexporteur der Welt.

"Das geht in die USA, ein Großauftrag", sagt Juan Canahuati stolz, Eigentümer von Lovable. Er hat das Prinzip der Maquilas in Honduras quasi eingeführt. "1960 kaufte meine Frau bei einer US-Reise Unterwäsche von Lovable und war restlos begeistert. Da kam ich auf die Idee, sie in Honduras zu vertreiben, und fünf Jahre später wurde ich deren Teilhaber und begann hier mit der Fertigung", erzählt der 75-jährige Unternehmer. Am heutigen Tag ist er zufrieden. Die Arbeiterinnen haben das vorgegebene Soll erfüllt.

Produktionsengpass

Es herrscht gerade wieder einer der Produktionsengpässe. Die Auftraggeber haben knapp kalkuliert, mehrere Millionen Teile müssen rechtzeitig auf den US-Markt kommen. Deshalb müssen die Arbeiterinnen in Honduras Überstunden schieben. Samstags, nachts - manche Betriebe arbeiten sogar sonntags. 144.000 Teile Wäsche exportiert Canahuati pro Woche. Liebestöter für die USA oder knappe Spitzenunterwäsche für den lateinamerikanischen Markt.

Der Kunde ist König, die Arbeitskraft billig und fügsam, der Staat gefällig. Seit 1987 gewährt ein Gesetz den Maquilas Steuererleichterungen. Die Rohstoffe - Lycra und Baumwolle - werden zollfrei importiert, in Honduras zusammengenäht und steuerfrei wieder exportiert. 25 Prozent des honduranischen Bruttoinlandsprodukts wird in den zollfreien Zonen erwirtschaftet.

"Die Maquilas waren ein großer Entwicklungsmotor für Honduras, hat direkte und indirekte Arbeitsplätze geschaffen, die Konsumkraft erhöht und die Infrastruktur verbessert", ist der Geschäftsführer des Verbands der Fertigungsindustrie, Arnoldo Solís, voll des Lobes. Gleichzeitig sorgt er sich aber ein wenig: Wegen der Wirtschaftskrise sind die Arbeitsplätze innerhalb von zwei Jahren von 133.000 im Jahr 2007 auf 103.000 gesunken. "Wir hängen sehr von der US-Konjunktur ab." Seine Assistentin händigt unterdessen Hochglanzbroschüren der Branche aus, in denen glückliche Arbeiterinnen über ihren Aufstieg berichten. "Von der Näherin zur Marketingchefin" - so lautet die honduranische Version der Tellerwäscherkarriere.

Kein Hollywood

In dieser Logik müsste Choloma, die Gemeinde mit den meisten Maquilas und eine der größten zollfreien Zonen Mittelamerikas, das Hollywood von Honduras sein. Doch die innerhalb von 20 Jahren von 10.000 auf 100.000 Anwohner gewachsene Gemeinde mutet ziemlich chaotisch an. Neben der vierspurigen Autobahn, die zum Hafen Puerto Cortés führt und entlang derer sich die Maquilas aufreihen, führen staubige Wege in improvisierte Siedlungen. Die meisten der kleinen Häuser sind immerhin aus Beton gebaut und nicht mehr aus Holz und Blech wie früher - bescheidener Wohlstand. Doch Wasser- und Stromversorgung sind prekär, die Wege voller Schlaglöcher, Schulen und Krankenhäuser miserabel ausgestattet. Die Maquilas zahlen keine Steuern, die Gemeinde hat daher kein Geld für Infrastruktur.

Die Arbeitsbedingungen haben sich im Vergleich zu früher dank einer langjährigen Kampagne internationaler Nicht-Regierungs-Organisationen etwas verbessert. Es gebe kaum noch Kündigungen wegen Schwangerschaft oder entsprechende Tests bei der Einstellung, sagt Yadira Minero vom Frauenrechtszentrum in San Pedro Sula. "Aber noch immer sind Gewerkschaften tabu, die Schichten viel zu lange, die Pausen zu kurz, der Schutz vor allergieerregendem Textilstaub ungenügend, die Strafen für nicht geleistete Überstunden drastisch", beklagt sie. Wer aufmuckt, fliegt, oft ohne Abfindung oder den letzten Lohn. Und ersetzt durch jüngere, unverbrauchte Arbeitskräfte.

Die Maquilas, so die Aktivistin, seien Teil einer globalen Strategie der Unternehmen, vorangetrieben durch Freihandelsverträge wie den, den Mittelamerika 2004 mit den USA abgeschlossen hat. "Der einzige Gewinn für die Honduraner sind prekäre Arbeitsplätze", sagt Minero. Die meisten Arbeitgeber zahlten nicht einmal die Sozialversicherung. Doch honduranische Politiker seien oft stille Teilhaber oder vermieteten die Industriehallen an die Maquilas. Kontrollen seien lasch, die Kontrolleure korrupt. Eine Arbeiterin verdient einen Grundlohn von 3200 Lempiras (etwa 130 Euro) im Monat. Für 44 Stunden Arbeit.

Wie hoch die Gewinnspanne für die Eigentümer ist, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse des Sektors. Eine Vorstellung davon bekommt man im glitzernden Konsumpalast Multiplaza, wo ein Lovable-BH 400 Lempiras kostet, eine Männerunterhose 200.(Sandra Weiss aus Choloma, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 16.8.2010)