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Gérard Depardieu schwärmt: "Salzburg hat etwas Besonderes, etwas Inspirierendes."

Foto: Reuters / CHRISTIAN CHARISIUS

Standard: Wenn Gérard Depardieu durch Salzburg ginge, wäre der Fußgängerstau noch ärger als sonst. Aber Sie zeigen sich kaum. Was machen Sie am liebsten, wenn Sie hier sind - außer proben?

Depardieu: Wir hatten nur drei Proben, das ist nicht viel. Also muss ich mich sehr auf die Arbeit konzentrieren. Oft bin ich dann einfach müde, ungeduldig. Um nicht unhöflich zu sein oder arrogant zu wirken, gehe ich erst gar nicht aus. Ich bleibe lieber für mich. Ich bin nicht jemand, der sich gern in der Öffentlichkeit zeigt. Aber ich habe drei Orte in Salzburg, an denen ich mich zu Hause fühle: im Haus meines Freundes Riccardo Muti, bei Dieter Mateschitz und in meinem Hotel auf dem Berg, dem Mönchsberg. Wenn ich von dort oben auf die Stadt hinunterblicke, verstehe ich Adalbert Stifter oder Peter Handke noch besser.

Standard: Es gibt zwei Geschichten, warum Sie den Hangar-7 so gern haben. Die eine besagt, Sie seien auf der Flucht vor Journalisten zufällig in der Küche bei Roland Trettl gelandet; die andere lautet, Dieter Mateschitz habe Sie eingeladen. Welche stimmt?

Depardieu: Wahr ist: Ich sollte vom Flughafen München mit dem Auto nach Salzburg fahren. Aber Doris, die Mitarbeiterin von Dieter Mateschitz, schickte mir dessen Flugzeug, und als ich zahlen wollte, sagte sie, ich sei eingeladen. Dann kam ich an und fand es exzeptionell, gerade zu extraterrestrisch: die Architektur, die gratis zugänglichen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die täglich von 3000 Menschen besucht werden, das wunderbare Restaurant. Und dieser faszinierende Mann, der das alles realisiert.

Standard: Nach Hector Berlioz' "Symphonie fantastique" im Jahr 2007 haben Sie heuer die Sprechrolle in Sergej Prokofjews Oratorium "Iwan der Schreckliche" übernommen. Wem ist das zu verdanken: Muti oder der guten Küche von Roland Trettl im Hangar-7?

Depardieu: Meinem Herzensfreund Riccardo Muti. Natürlich kannte ich Herbert von Karajan, die Salzburger Festspiele - vom Hörensagen. Aber erst auf Einladung von Riccardo kam ich das erste Mal hierher. Ich fand die Stadt wundervoll, beeindruckend. Vor allem diese einzigartige Verrücktheit für die Musik. Es stimmt: Salzburg hat etwas Besonderes, etwas Inspirierendes. Nach Berlioz wollte ich wiederkommen. Riccardo fragte mich: "Machen wir Iwan der Schreckliche?" Ich: "Ja, gern. Auf Französisch." Er: "Nein. Auf Russisch." Ich: "Das kann ich nicht." Er: "Das wirst du lernen." Er hatte recht. Ich habe es gelernt, so wie man Musik, Noten, lernt.

Standard: Wie viele Sprachen sprechen Sie?

Depardieu: Ich liebe Sprachen. Worte. Literatur. Vielleicht, weil ich in einer spracharmen Umgebung aufwuchs. Also versuche ich, anständig Französisch zu sprechen (lacht). Ich verstehe Englisch, aber ich würde nicht behaupten, dass ich es wirklich sprechen kann. Ich liebe Italienisch, ich mag den Klang des Deutschen.

Standard: Sie haben mit Valery Gergiev "Ödipus Rex" gemacht; "Karneval der Tiere" mit Jean-Paul Scarpita. Braucht es dazu besondere Musikkenntnis? Gutes Gehör?

Depardieu: Ich fühle die Musik eher, als ich sie höre. Nein, ich kenne die Musik nicht sehr gut; aber ich kenne und liebe Menschen, die sie machen, Meister wie Muti, Gergiev, Zubin Mehta. Mein Sohn Guillaume war ein toller Schauspieler und ein großartiger Musiker; meine Tochter Julie, eine wunderbare Schauspielerin und profunde Opernkennerin, hat Hoffmanns Erzählungen inszeniert. Ich habe viel mit der Sängerin Barbara (1930-1997, Anm.) gearbeitet, sie war unglaublich präzise im Zusammenspiel von Text und Musik. Ein Leben ohne Musik wäre seicht. Und die Einsamkeit noch größer. Das gilt auch für mich. Natürlich habe ich Familie, aber ich fühle mich, auch während der Dreharbeiten, manchmal sehr einsam.

Standard: Prokofjew hat die Musik zu Eisensteins Film komponiert. Gibt es heute Vergleichbares?

Depardieu: Nein. Ich bin überzeugt, dass es keine interessanten Filmkomponisten mehr gibt. Was wird heutzutage gemacht? Man nimmt Melodien von Verdi, Mozart und arrangiert sie. Ich kenne wenige zeitgenössische Komponisten, die mir noch so viel Befriedigung geben wie Verdi, Mozart, Tschaikowski oder Prokofjew.

Standard: Und in der Malerei, in der Literatur ist es ähnlich?

Depardieu: Ja, genauso. Wo sind da Künstlerpersönlichkeiten wie Pablo Picasso, wie Francis Bacon? Jeff Koons? Das ist mehr eine Industrie als Kunst. Damien Hirst? Ebenfalls. Auch in der Literatur herrscht Ratlosigkeit. Es gibt interessante österreichische und deutsche Schriftsteller, auch die Amerikaner machen gute Literatur. Aber in Frankreich mangelt es den Schriftstellern derzeit an Tiefe. Die Kommunikation ist durch den Computer und durch das Internet oberflächlich geworden. Statt Literatur gibt es Blogs. Die Menschen sind nicht mehr an der Auseinandersetzung interessiert. Im Film genau das Gleiche: Höchstens ein Zwanzigstel der Filme sind künstlerisch anspruchsvoll. Statt dessen Zeichentrickfilme und Serienästhetik. Die Menschen sind nicht mehr an komplexen Geschichten interessiert.

Standard: Gefällt es Ihnen trotzdem noch, Filme zu machen?

Depardieu: Es gefällt mir, weil es leicht ist. Es ist mein Beruf. Jetzt kommt eine wunderbare deutsch-schweizerische Koproduktion in die Kinos: Small World nach dem Romandebüt von Martin Suter in der Regie von Bruno Chiche. Und beim Filmfestival in Venedig wird François Ozons Potiche präsentiert, da habe ich mit Catherine Deneuve gespielt. Aber offen gesagt mache ich viele Filme vor allem um des Geldes wegen.

Standard: Und Theater?

Depardieu: Ich liebe Theater. Aber es gibt zunehmend blöde Regisseure. Das ist auch das Problem bei der Oper. Die Inszenierungen sind oft viel zu selbstbezogen. Ich ziehe es vor, ein Künstler zu bleiben. Einer, der sich in den Dienst der Kunst stellt. Als ein Instrument des Lebens.

Standard: Lieben Sie, was Sie tun?

Depardieu: Ja. Ich mache nur, was ich liebe. Daher könnte ich auch nie in Pension gehen. Wie ginge das? Ich weiß es nicht. Mein Beruf ist mein Leben. Und das dauert an, bis zum Ende. Und bis dahin mache ich, was ich liebe. (Andrea Schurian, DER STANDARD/Printausgabe 16.8.2010)