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Oskar Kokoschka hat Ernst gemacht mit der Idee von der idealen Lebensabschnittspartnerin: Seine Traumfrau zum Überallhinmitnehmen war ganzkörperbehaart.

Foto: Neue Galerie Graz

Nicole Tran Ba Vang: "Collection Printemps / Été 01 (06)", 2001, Courtesy Galerie Emmanuel Perrotin, Paris

Foto: Neue Galerie Graz

...verfolgt die vielfältigen Auswirkungen Sacher-Masochs auf Kunst und Denken.


Graz - Es beginnt ja oft mit der Erkenntnis, im Namen des Vaters aber so überhaupt nichts tun zu wollen. Selbst das Aussprechen seines Namens verbietet sich einem absolut. Und schon ist man mitten drinnen, und leitet aus anfänglich verschwenderischem Masturbieren rasch eine anspruchsvoll autoerotische Methodik ab.

Das kann jetzt heißen, in diversen Handwerken zu dilettieren, um Junggesellenmaschinen vom Feinsten hinzukriegen, ohne der Pein ausgesetzt zu sein, konventionelle Experten um Rat fragen zu müssen. Oder aber man wünscht sich groß- bis kaumbusige Frauen in einem Spektrum von ganz jung bis lehrerinnenalt auf den Thron, solange sie nur aus engster Korsage heraus zur strafenden Peitsche greifen. Oder man beginnt in fortgeschrittenem Alter damit, Matrosenanzüge mit braunen Kunstlederranzen zu kombinieren und, derart zugerichtet, im Eck stehend um Schläge zu bitten.

Oder man entdeckt Freuden darin, die Eigenejakulat-Abgabe vom vorherigen Empfang der Körpersäfte (womöglich fremder) Dritter abhängig zu machen. Oder aber, man geht es mystisch an, verfällt einer einschlägigen Religion wie dem Katholischen, und geißelt sich, allgemein anerkannt und reich an Chancen, heilig gesprochen zu werden, selbst himmelwärts.

Der Vater des "Romanschriftstellers" Leopold von Sacher-Masoch war Polizeipräsident von Lemberg. Sein Umgang mit Frauen war vertraglich geregelt. First of all hatten die Damen Pelz zu tragen. Richard von Krafft-Ebing ernannte ihn zum Taufpaten des "Masochismus": "Dieser stellt das Gegenstück einer nach dem Vorgang der Franzosen ,Sadismus' genannten Form dar . . ."

Graz ist 2003 Kulturhauptstadt Europas. Nach einem Auftakt mit der Krieg-und-Kunst-Ausstellung MARS gedenkt man nun in der Neuen Galerie der "Venus im Pelz" und ihren zahlreichen Verehrern. Und holt spät und symbolisch den untertänigen Leopold heim. Schließlich wollte der ja in Graz begraben werden, nachdem er sich im deutschen Ausland einäschern ließ. Allein die katholisch ausgerichteten Sitten wussten eine letzte Überführung erfolgreich zu verhindern.

So verblieb die Asche des berühmtesten Fallbeispiels aus Krafft-Ebings "Psychopathia sexualis" aus merkwürdigen Umständen heraus so lange bei der Nachbarin seiner Erbinnen, bis deren Haus samt den sterblichen Überresten des weltweit bekanntesten unter den ohnehin zumeist bizarren Österreichischen Helden abbrannte. Auch Krafft-Ebing ist untrennbar mit Graz verbunden: 13 Jahre seines Lebens verbrachte er in der steirischen Hauptstadt, gründete dort sein Privatsanatorium Mariagrün, und starb kurz vor Weihnachten 1902.

Panoptikum Peter Weibel hat die Aufgabe übernommen, nach Sacher-Masochs Wirkung auf die Kunst zu fahnden. Und er hat - im Biografischen unterstützt durch Verleger Michael Farin (belleville Verlag, München) - ein entsprechend ausuferndes Panoptikum des künstlerischen Nachvollzugs, Reflektierens, Ausbeutens, Zitierens, Vereinnahmens, Deutens, Abkupferns, Banalisierens, Verdauens, Beanspruchens und Dokumentierens der leopoldschen Umgangsform mit ausgesuchten Dritten in die Neue Galerie gestellt.

Auf mondscheinkühlen Edelstahlpfaden wandert man da durch Deutungen der Gründe tief menschlichen Abnormverhaltens - von der Einführung in ungeahnte Möglichkeiten des Alleinseins, über eher gruppendynamische Unterwerfungsrituale bis hin zu aktuellen Gefilden, die zeigen, wie sich der Fetisch in Zeiten des dominanten Warencharakters verselbstständigt.

Joseph Beuys, Birgit Jürgenssen und Helmut Newton sind bloß drei Namen aus knapp hundert Beiträgen zum Fesseln oder Gefesseltwerden. Der Zusammenhang zeigt den "heiligen" Joseph Beuys erneut als schlicht großartigen Zeichner jenseits zeitgebundener politischer Verpackung, Jürgenssen wird bestätigt als eine der wichtigsten Positionen im Jenseits der heimischen Herrenreiterpartie, und Helmut Newton ist eben wieder einmal Helmut Newton.

Spürbar lustvoll mischt Peter Weibel Belege infantiler Fixierung, gemeinhin üblicher Verkrampfung, fantasiegetragener Ausbeutung, angstbestimmter Wut, distanzloser Kritik. Und Weibel stellt als Subtext Hegel an die Stelle des oft einschlägig bemühten Kant: Der Geknechtete erlebt die Wahrheit in vollem Unfang. Die Ausstellung wird so zum verschlungenen Kreuzweg durch alle Stationen der Geschichte des Begriffs "Masochismus".

Sie zeigt auch - ganz nebenbei - dass die Rezeption Sacher Masochs vor allem in Frankreich viel intensiver erfolgte als hierzulande. Es ist eine im besten Sinne unbefangene Mixtur aus poetischen, wissenschaftlichen und literarischen Deutungen. Ein mehrdeutiger Umgang mit dem Phänomen "Masochismus".

Dem gemäß hat sie auch zwei Eingänge: Einen wissenschaftlichen über die Biografie des Geehrten und die Lebens-und Leidenswege all derer, die unter seiner Patronanz arbeiteten - wie zum Beispiel die legendäre Wiener "Fremdsprachenlehrerin" Edith Kadivec, die in ihrem, offiziell tatsächlich als Schule geführten, Salon, solvente "Schulinspektoren) und sonstige Bildungsräte empfing, um die wie immer schlimmen Kinder gebührend zu maßregeln.

Phantom der Lust, die Schau zu Wirkung und Auswirkung einer der "bedeutendsten Grazer Persönlichkeiten, macht deutlich, dass der populäre Begriff "Masochismus" in der Tat eine Vielzahl von Visionen bündelt. Dass die Lust am Schmerz auch weiterhin alle nur erdenklichen Spielarten, und damit einen unbegreifbar großen Ratten-Schwanz an Deutungen hervorrufen wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.4.2003)